Wir waren beide - ohne Wecker - gegen 7 Uhr wach und ich stellte fest, dass der Tempelberg - angeblich - bis 10.30 Uhr und dann von 12.30 Uhr bis 13.30 Uhr offen sei. Wenn wir den Bus um kurz vor acht Uhr erwischen würden, kämen wir so gegen 9.30 Uhr am Dungtor zur Jerusalemer Altstadt an, das würde dann noch reichen ... Also hüpften wir ins Bad, meine Mutter mit kaltem Wasser (der Boiler war nicht an ...), ich mit etwas wärmerem Wasser, und wir standen pünktlich um kurz vor acht Uhr an der Bushaltestelle, mit Rav-Kav-Karte im Anschlag, selbstverständlich ...
Allein, der Bus kam und kam nicht, es wurden fünf Minuten, es wurden zehn Minuten Verspätung, da trudelte das Teil endlich ein, aber den Zug nach Jerusalem verpassten wir trotzdem gerade so, obwohl der auch Verspätung hatte ... Nun standen wir da eine gute halbe Stunde am Bahnhof herum, die israelische Bahn konnte es heute Morgen in Sachen Unpünktlichkeit mit der deutschen aufnehmen - wobei, in Deutschland wäre ich manchmal froh, wenn die Züge nur 20 Minuten verspätet wären; andererseits haben wir bei uns ganz längere Laufwege, die Strecke Herzliya - Jerusalem mit dem Schnellzug dauert nur eine knappe Stunde, da sind 20 Minuten Verspätung schon eine echte Leistung ...
Lobend hingegen muss ich die Preise der israelischen ÖPNV-Anbieter erwähnen, denn für weniger als zehn Euro kriegt man eine Tageskarte für Tel Aviv und Jerusalem und den Intercity-Verkehr dazwischen, da kann man auch mit dem Schnellzug fahren, und für keine zwanzig Euro kann man einen Tag kreuz und quer durch das (kleine) Land fahren ...
Nun denn, der Zug war gerammelt voll, etliche Soldatinnen und Soldaten mit ihren Knarren saßen drin; die Herrschaften verteidigen Israel ganz bestimmt gut, aber so richtig höflich sind sie nicht, sodass ein etwas (etwas!) älterer Mann als die Soldaten (vielleicht war der 25) meiner Ma den Platz anbot. Vielleicht ist es in Israel aber auch so, dass man die jungen Leute einfach vom Platz verjagen muss, das hat uns später im Bus eine andere Frau vorgemacht. Sei's drum, meine Ma saß, ich stand, aber die dreiviertelstündige Fahrt habe ich gut überstanden. Der Hauptbahnhof in Jerusalem ist tiiiiiiiief unter der Erde, da geht es drei lange und zwei kurze Rolltreppen hoch, bis man dann endlich auf dem Straßenniveau ist.
Mit der Straßenbahn (insgesamt ist die Beschilderung nicht ganz so optimal, weil an vielen Stellen die Stationen und die Aushänge nur auf Hebräisch beschildert sind) ging es bis zum Damaskustor (anstatt zum Dungtor), aus dem Jessi, Christian und ich einst im Jahr 2018 herauskamen, als wir mit dem Bus nach Bethlehem wollten.
Der Zugang zur Altstadt ist am Damaskustor völlig unproblematisch, weil einfach gar keine irgendwie geartete Kontrolle ist. Wir liefen durch die Gassen des muslimischen Viertels, wollten einen Kaffee trinken, hatten aber zu wenig Bargeld, liefen weiter und irgendwann war es mir zu bunt und ich hob doch Geld am Automaten ab. Damit wurde ein Falafel gekauft (sehr lecker), danach ging es in Richtung Westmauer, aber da wollten wir noch nicht hin, also ging es in eine Seitengasse und sollte dort auf einen kleinen Platz gehen, als wir angehalten wurden - da waren wir doch tatsächlich fast versehentlich auf den Tempelberg gelatscht ...
Nun denn, wir drehten um (alles sehr freundschaftlich dort) und liefen wieder zu der Kneipe, bei der ich den Falafel gegessen hatten. Nun bestellten wir dort einen Kaffee für meine Ma (Sucht gestillt), tranken frisch gepressten Granatapfelsaft (Schuld von 2015 beglichen) und ich aß noch ein Schawarma zum Frühstück. Meine Mutter hat eher Hunger auf Süßes, sodass wir bezahlten und einige Schritte zurück zur Abzweigung der Via Dolorosa (alles gerammelt voll) gingen, weil wir da oben - kurz nach dem Eingang zum Damaskustor - so einen Süßwarenladen gesehen hatten.
Wir okkupierten zwei Plätze an einem Tisch und bestellten jeweils vier Kleinigkeiten, die wir probierten. Alles lecker, alles sausüß, meine Ma bekam noch einen frischgebackenen Pfannkuchen, und arm wurden wir auch nicht - das war richtig gut ...
Nun aber ging es zur Westmauer, durch die Sicherheitskontrolle, und schon standen wir an der Mauer des früheren jüdischen Tempels. Wir verzichteten heute darauf, direkt an die Westmauer heranzugehen, denn eigentlich war der Plan ja gewesen, auf den Tempelberg zu kommen. Wir verließen also das Areal wieder zum Dungtor hinaus und schauten, wo der Zugang zum Tempelberg ist.
Der Zugang zum Tempelberg ist exakt überhaupt nicht beschrieben, aber ich wusste aus früheren Besuchen, wo er gewesen war. Es wurde 12.30 Uhr, da rührte sich nichts, aber gegen 12.45 Uhr setzte ich meine Ma (wir waren inzwischen wieder durch die - völlig schmerzfreie - Sicherheitskontrolle gelaufen) im Bereich der Westmauer ab (sie wollte nicht mehr so viel laufen), verließ das Areal wieder und stellte mich in eine Schlange, die dort - noch vergleichsweise kurz, die wurde später länger - vermeintlich unmotiviert herumstand. 13 Uhr war auch noch nicht offen, und ich entschied mich, nicht länger als bis kurz nach 13.30 Uhr auszuharren, weil es da in der Sonne recht warm war und ich mir gestern schon die Arme ein bisschen verbrannt hatte (heute war ich eingeschmiert, alles gut ...).
Kurz vor 13.30 Uhr drängelten sich dann noch eine Gruppe von Italienern zu ihren Freunden vor, was den Italiener hinter uns zu einer mittelprächtigen Ansprache verleitete, die die Asozialen aber ignorierten. Die Amerikanerin neben mir (die sogar ganz gut Deutsch sprach, wie wir feststellten, als wir uns beide für seinen Versuch bei dem Italiener hinter uns bedankt hatten) und ich kamen ins Gespräch, als es dann endlich los ging, aber in der Sicherheitskontrolle verloren wir uns dann wieder, auch wenn die ebenfalls schmerzfrei war. Schmerzfrei für uns, denn ein Pärchen wurde aus Gründen, die sich mir nicht erschlossen hatten, von einem Sicherheitsmenschen zusammengefaltet, dass es sich gewaschen hatte - die Amerikanerin sagte zu mir, es sei nie gut, sich mit dem Menschen mit der Waffe anzulegen ...
Über einen Holzsteg ging es hinauf zum Tor zum Tempelberg, da saßen und standen zig israelische Soldaten und Polizisten herum, ich wusste gar nicht, ob ich da durchlaufen sollte, grinste einen an, der grinste zurück und durch war ich ...
Es ist ein erhebendes Gefühl gewesen, nun - im dritten Anlauf, einmal war Freitag, einmal war Ramadan - auf den Tempelberg zu gelangen und sich Al-Aksa-Moschee und - vor allem - den Felsendom anschauen zu können. Das Leben ging dort in dem weitläufigen Gelände seinen gemütlichen Gang, Familien saßen beim Picknick, Jungs spielten Fußball (beim Versuch, den Ball, der ihnen wegsprang, zurückzuspielen, zerrte ich mir fast jeden Muskel im Bein ...), viele Menschen machten Selfies und anderweitige Fotos, ich natürlich auch, bis auf einmal ein Aufseher auf mich zulief und meinte, ich dürfe keine Fotos machen.
Das verstand ich nun wirklich nicht, denn jeder und jede machte dort oben Fotos, vielleicht war ich ein bisschen zu offensichtlich gewesen (glaube ich aber nicht), vielleicht war das Problem, dass ich ein Foto in Richtung Ölberg gemacht hatte, sei's drum, ich hatte ja schon genug Fotos gemacht, von daher alles in Ordnung ... (Und eine Schießerei gab es meinetwegen nicht ... Wobei, als ich da oben war, knallte es auf einmal, sodass ich doch ganz leicht den Kopf einzog, bis ich feststellte, dass eine Frau mit einer Schreckschusspistole Tauben verjagte ...)
Ich fragte nun einen (muslimischen) Polizisten nach dem Ausgang, der fuchtelte mit dem Arm irgendwo in Richtung Altstadt und so lief ich am Ende durch genau das Tor, durch das wir Stunden vorher versehentlich fast gelaufen wären, vom Tempelberg in die Altstadt zurück. Ich kaufte mir noch eine Souvenir-Kippa (jetzt habe ich eine Prager, eine Budapester und eine Jerusalemer Kippa, juchhe!), dann holte ich meine Mutter ab, wir verließen das Westmauerareal endgültig und stiegen in den Bus ein, der zum Busbahnhof fahren würde. Da der Busbahnhof direkt am Hauptbahnhof liegt, liefen wir ein paar Schritte weiter (vorbei an einem gar nicht so schlechten Perkussionskünstler), dann ging es wieder hinunter in den Untergrund und in die für Abfahrt in zwanzig Minuten bereitstehende Bahn.
Wir fanden einen Platz und fuhren - durch ländliche Gebiete, aber auch viel Trabantenstadt - in Richtung Tel Aviv und stiegen nicht, wie heute Morgen, an der Station HaHagana aus, sondern an der Zentralstation. Ich hatte mich heute Morgen vermeintlich gut vorbereitet und einen Buslinienplan heruntergeladen, doch der stimmte vorne und hinten nicht (mehr). Also fuhren wir - nach einiger Sucherei - mit einer anderen Linie bis in die Nähe des gewünschten Ziels, liefen noch einige Schritte und kehrten dann auf ausdrücklichen Wunsch einer einzelnen Dame bei Molly Bloom's ein. Dort hatte es meiner Ma nämlich 2015 sehr gut gefallen.
Sie erkannte die Kneipe kaum wieder (dabei hat sich nicht soooo viel getan), wir bestellten einen Fleischteller mit Roastbeef, Sucuk und Cabanossi bzw. Fish and Chips, das war okay, und tranken dazu Cider und Guinness (genug mit israelischen Bieren ...). Wir saßen da so gemütlich, als immer mehr Liverpool-Fans in die Kneipe kamen, denn um 18 Uhr fing das Spiel von Liverpool gegen Tottenham an. Als es nach zwanzig Minuten 3:0 für Liverpool stand (großes Gejohle), hatten wir genug und wollten nach Hause fahren.
Die Haltestelle unserer Linie war natürlich gesperrt, also liefen wir noch ein paar Schritte am Meer entlang (meine Ma war jetzt wieder gestärkt und laufbereit), genossen den tollen Sonnenuntergang und stiegen an der nächsten Haltestelle in unseren Bus ein, der uns bis zum Glockenturm hier in Jaffa brachte.
Wir entschieden uns noch für ein Eis in einem schönen Kneipenviertel, gegen einen Absacker und sind jetzt gegen 22 Uhr fast bettfertig.
Morgen geht es zu einigermaßen christlicher Zeit zum Flughafen und dann mit Ryanair direkt nach Karlsruhe/Baden-Baden. Mal sehen, was das morgen gibt ...
Zwei Sachen: Von den Demonstrationen, die es - laut Aussage meines Bruders - auch heute wieder in Tel Aviv gegeben haben soll, haben wir überhaupt nichts mitgekriegt; insgesamt ist es hier bisher so "ruhig", wie es immer ist ...
Ich habe ab und zu den Eindruck, dass viele Leute eine völlig falsche Vorstellung von Israel und insbesondere Jerusalem haben: Immer, wenn ich in der Altstadt einen offenbar orthodoxen Juden durch das muslimische Viertel laufen sehe, vermute ich, dass etliche Menschen, die noch nicht in Israel waren, glauben, der Mann würde binnen Sekunden gelyncht. Das ist ganz definitiv nicht so, auch wenn ich jetzt andererseits noch keine Verbrüderungsszenen zwischen orthodoxen Juden und kopftuchtragenden Musliminnen gesehen habe ...
Gesehen haben wir heute dafür die Altstadt, die Westmauer, den Tempelberg und den Sonnenuntergang in Tel Aviv, und davon soll die werte Leserin und der werte Leser auch was haben:
Altstadt |
Westmauer |
Westmauer mit Kuppel des Felsendoms |
Al-Aksa-Moschee |
Felsendom |
Sonnenuntergang in Tel Aviv (bogenförmig) |
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