... hat es heute, und zwar in mehrfacher Hinsicht.
Das Aufstehen heute Morgen war, sagen wir, schwierig. Mein Körper sagte mir, als mein Wecker um 6 Uhr runterging: "Wieso willst du um 23 Uhr aufstehen? Wieso bist du schon um 17 Uhr ins Bett? Was machst du hier überhaupt?" Man soll auf seinen Körper hören, und ich stellte den Wecker im Halbstundenrhythmus weiter, bis ich dann um 8.30 Uhr aufstehen konnte. Mein Körper wollte doch schon wieder etwas zu essen haben, und Frühstück gab es im Hotel nur bis 9.30 Uhr. Ich stellte meinen Körper unter die Dusche (abnehmbarer Duschkopf mit gutem Wasserdruck, eine Wohltat für meinen verspannten Hals und Nacken) und fuhr dann runter zur Lobby und zum Frühstück.
Es war eine sehr interessante Mischung aus typisch japanischem (Reissalat mit Bohnen, Makrele, Hackfleischbällchen in einer Honigsoße) und westlichem Frühstück (Rührei, Würstchen, Coca-Cola), vor allem die Cola tat gut. Zu allem Überfluss hatte ich mich an der Kaffeemaschine verdrückt und bekam anstatt der heißen Schokolade einen Kaffee Mokka. Pfui Deibel!
Ich lief durch meine - noch ziemlich verschlafene - Einkaufsstraße zum Bahnhof, ging schnellen Schrittes und zielsicher wie ein Tokioter (höhö) zu meiner Bahn, fuhr bis zur Haltestelle Akihabara nördlich des Hauptbahnhofs und stieg dort in eine andere Bahn um, um nach zwei Haltestellen am Ryōgoku Kokugikan, der Sumohalle, auszusteigen. Die U-Bahnen in Tokio haben keine Nummern, sondern Namen. Man darf nur nicht den Fehler machen, sich die alle einprägen zu wollen, denn die Namen werden in den Fahrplänen praktischerweise in ein- oder zwei Buchstaben umfassende Kombinationen gepresst und mit Farben versehen. Nach einem Tag hat man das raus. Sehr praktisch ist, dass die Haltestellen einer bestimmten Linie prominent nummeriert sind, und dann hat halt die 4. Station auf der Tamagawa-Linie die Nummer TM-04. Das kann man sich sogar als Ausländer merken.
Die Kartenabholung morgens um 10.30 Uhr war problemlos: Man zieht seine Kreditkarte durch einen dort aufgestellten Automaten und die Karte kommt raus. Japan kann auch einfach sein ... Beim Einlass bekam ich einen Hallenplan und eine Übersicht, wer heute gegen wen kämpfen würde. Ich ging hinein, stellte fest, dass ich auf der oberen Tribüne saß und fuhr mit der Rolltreppe (die Japaner lieben Rolltreppen, überall gibt's welche) hoch. Ich hatte festgestellt, dass ich durch den Eingang 6 musste, um dann in Reihe 12 auf Platz 71 zu sitzen. Dort setzte ich mich hin (es war so früh am Morgen noch gähnende Leere, nichts da mit 13.000 Leuten, die da reinpassen) und guckte mir die ersten "Vorkämpfe" an.
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, also mache ich mal einen gefilterten Gedankenstrom: In der Mitte der Arena ist der Ring von einem Durchmesser von 4,50 m oder so, in dem gekämpft wird. Der Ring befindet sich auf einem etwa 5,50 m x 5,50 m großen und 60 cm hohen "Podest" aus so einem lehmartigen Material (jedenfalls sah es von Ferne so aus). Über dem Ring ist ein großes Dach aufgehängt, das wohl an einen Tempel erinnern soll, weil die Sumo-Kämpfe früher auch religiöse Bedeutung hatten. Das merkt man übrigens daran, dass man erstens auch nach der Verstaltung nicht irgendwie diesen Ring betreten soll, weil der immer noch als geheiligt gilt, und dass zweitens die Sumo-Kämpfer vor dem Kampf etliche rituelle Handlungen begehen, mehr dazu gleich.
Um den Ring herum sitzen - zum Teil direkt hinten den Wettkampfrichtern - die erste Zuschauer, und zwar auf Polstern auf dem Boden. Man kann, etwas dahinter, auch eine Box kaufen, das sind dann vier Polster auf dem Boden, die ein bisschen umzäunt sind, sodass man da sein festes Areal hat. Auf dem Oberrang gibt es aber - Gott sei Dank - ganz normale Stühle, sonst hätte ich es da heute nicht so lange ausgehalten, wenn ich auf dem Boden hätte sitzen sollen. Die Japaner sind das eher gewöhnt.
Vor dem Kampf betritt so eine Art Ansager den Ring, der in einer speziellen Art (mit ziemlich hohen Tönen für einen Mann) sagt/singt, wer die beiden Kämpfer sind. Diese treten dann in ihrer leichten Bekleidung in den Ring. Ganz und gar nicht leicht bekleidet ist der Schiedsrichter, der trägt einen Kimono und hat einen schwarzen Hut auf, wie man ihn früher am Hofe trug. In der Hand hat er eine Art Schild, mit dem er am Ende des Kampfes den Sieger anzeigt. Die Schiedsrichter haben - wie die Ringer - unterschiedliche Ränge, was man zum Beispiel sehr deutlich daran sieht, dass die niederen Schiedsrichter für die niederen Ringer wie diese selbst barfuß sind, während die höheren Schiedsrichter Socken und spezielle Schläppchen tragen, wenn ich das richtig gesehen habe. Die Ringer klatschen dann in die Hand und stampfen mit beiden Beinen am Rande des Rings auf den Boden, um das Böse aus dem Ring zu vertreiben. Danach stellen sie sich in die Mitte des Rings und versuchen, sich mit weiterem Gestampfe gegenseitig einzuschüchtern. Der Kampf startet, sobald beide Ringer hinter ihren jeweiligen Markierungen gleichzeitig beide Fäuste auf dem Boden haben. Je höher der Rang der Ringer ist, desto länger dauert das Vorgeplänkel: Bei den Meistern stehen sie dann zwei-, dreimal wieder aus ihrer Grundhocke auf, schlafen sich nochmal selbst auf den Beine oder den Rücken, werfen Reis zur Reinigung des Rings (und zum Kirremachen des Gegners) in den Ring, ehe es dann endlich losgeht.
Der Kampf selbst ist in der Regel binnen zehn, zwanzig Sekunden erledigt. Ein besonders langer Kampf heute dauerte sicher zwei, vielleicht drei Minuten. Danach waren die beiden Wettkämpfer allerdings so richtig geschafft, die kamen kaum mehr vom Boden hoch. Das geht so schnell, weil der Kampf zu Ende ist, sobald einer der beiden mit einem Körperteil außerhalb des Rings ist oder aber mit einem anderen Körperteil als der Fußsohle den Boden berührt. Manchmal stürzen beide aus dem Ring (und auch durchaus mal diesen halben Meter von dem Podest runter), und dann kann es zu einer Kampfwiederholung kommen, wenn die fünf Kampfrichter (die um den Ring herumsitzen) sich nicht einig sind, wer zuerst draußen bzw. am Boden war.
Nach dem Kampf verbeugen sich die Kämpfer, und während der Verlierer gleich abtritt, geht der Sieger noch einmal in die Hocke und bekommt vom Schiedsrichter das Siegesschild gezeigt (und manchmal, in den gesponserten Kämpfen ganz am Ende, auch einen Umschlag mit Geld).
Das Turnier, bei ich heute war, dauert 15 Tage (heute war der 9. Tag) und ist eines von sechs Turnieren im ganzen Jahr. Jeder Ringer tritt genau einmal am Tag an, und wer am Ende die meisten Siege hat, hat das Turnier halt gewonnen. Normalerweise sollten die yokozunas, die höchstrangigen Kämpfer (die sich diesen Titel durch Leistung erworben haben), die anderen besiegen. Das klappt auch meistens, aber nicht immer; wenn ein yokozuna dauerhaft schwach ist, wird von ihm erwartet, dass er zurücktritt.
Soviel in Kurzform (naja ...) zu den Regeln.
Nachdem ich also die erste Dreiviertelstunde oder so auf meinem Platz gesessen hatte, machte ich mal eine kleine Runde, kaufte mir eine kurze englischsprachige Zusammenfassung des Sports (sehr empfehlenswert, zumal das kleine Heftchen nur 100 Yen kostet, also 80 Cent), schaute mir die Imbiss- und die Souvenirstände an. Das Ganze ist sehr entspannt, man kann kommen und gehen, wann man möchte, man darf sogar einmal am Tag das Gelände insgesamt verlassen und wird danach wieder eingelassen - sehr schön.
Mein Mittagessen nahm ich im Untergeschoss ein: Dort bieten einige ältere Damen so einen Eintopf mit Gemüse und Fleisch an. Man zahlt 250 Yen (2 Euro) und holt sich dann eine Schüssel mit dem Zeug, setzt sich an einen der großen Tische, isst mit den Stäbchen die Einlage raus und trinkt die Suppe danach wie ein Glas aus - macht jeder so, dann darf ich das auch ...
Ich ging wieder auf meinen Platz, denn so langsam gingen die Vorkämpfe der niederen Kämpfe in die Kämpfe der Mittelklasse über.
Beim Blick über den Hallenplan (die Kämpfer werden relativ willkürlich einer "West"- und einer "Ost"-Mannschaft zugeordnet und stehen entsprechend in der Ecke) stellte ich fest, dass ich die Rechnung für meinen Sitzplatz ohne das komische japanische Schriftzeichen vor der 12 gemacht: Es gibt nämlich Reihe 12/Platz 71 gleich viermal in der Arena, und zwar auf der Haupttribüne, auf der Gegentribüne, auf der West- und auf der Osttribüne. Mein Zeichen bedeutete "Osttribüne", ich saß aber auf der Haupttribüne. Also ging ich ein Viertel des Rundwegs um die Arena weiter und setzte mich halt auf Reihe 12/Platz 71 auf der Osttribüne - gesehen hat man von überall ziemlich gut.
Während der Mittelklasse füllte sich die Arena deutlich, und als die Meister dann einzogen (die tragen da so riesige zeremonielle Schürzen für diesen Einmarsch), war es schon ziemlich voll. Den Abschluss des rituellen Einmarsches bildet die rituelle Reinigung des Rings durch die yokozunas (jeweils einzeln). Dabei wird eifrig beklatscht, wenn der yokozuna mit seinem Aufstampfen den Ring vom Bösen befreit hat.
Man könnte über die Ernsthaftigkeit, mit der diese rituellen Handlungen vorgenommen werden, ein wenig schmunzeln, aber man kann es auch wie die Japaner sehen, nämlich dass Sumo unter den Sportarten dieser Welt einzigartig darin ist, dass er sich seine Geschichte und der aus ihr hervorgegangenen Riten sehr bewusst ist. Und weh tut es übrigens nicht, wenn man sich mal anschaut.
Man könnte auch ein wenig darüber schmunzeln, dass die Vorbereitungshandlungen der beiden Ringer mit dem In-die-Hocke-gehen, dem So-tun-als-ob-man-angreift, dem Wiederaufstehen, dem Reiswerfen und das Ganze nochmal von vorn so lange dauern, und der Kampf dann nur drei Sekunden, wenn - wie in dem einen Fall - der vermeintlich verteidigende Ringer dem Angreifer ins Gesicht greift (erlaubt!), ihm praktisch eine schmiert (Faustschläge sind verboten, aber diese Ohrfeigen sind in Ordnung, weil man dem Gegner auch an den Hals oder eben ins Gesicht greifen darf und dabei auch ab und zu "abrutscht") und der Angreifer dann von seinem eigenen Schwung mitgerissen wird und in den Ring plumpst. Man kann aber auch das ganze Training sehen und die verschiedenen Grifftechniken und die enorme physische Anstrengung, einen 150-bis-200-Kilo-Mann zu Boden zu bringen und dabei selbst stehen zu bleiben.
Und spätestens wenn man sieht, wie die ganze Arena jubelt, weil der Niederrangige den einen yokuzuna besiegt hat und - weil es der letzte Kampf des Tages war - diesen auch rituell mit einem riesigen Bogen beschließen darf,weiß man, dass das ein faszinierender Sport ist.
Wenn ich mal wieder zur Turnierzeit in Japan bin, gehe ich da, glaube ich, nochmal einen halben Tag hin - man muss nicht morgens um 9 oder 10 Uhr da sein, 13 Uhr, 14 Uhr reicht völlig, dann sieht man noch vier, fünf Stunden. Aber es schadet auch nicht, früh da zu sein, denn dann ist man bei den wichtigen Kämpfen regeltechnisch so fit und kampferfahren, dass man richtig mitfiebern kann.
Ich schwamm mit den Massen zurück zur S-Bahn, fuhr - in der Rushhour wurde es jetzt kuschlig in den Zügen - zurück zu "meinem" Bahnhof Kamata und suchte mir eine Abendessenlokalität. Ich brauche noch ein paar Tage, dann wage ich mich auch in Gaststätten rein, die nur eine japanische (bzw. dann koreanische oder chinesische) Karte haben, aber noch bin ich nicht so weit (was eigentlich Quatsch ist, weil ganz viele Lokale, die keine englische Speisekarte haben, Bilder oder sogar Nachbildungen von den angebotenen Speisen auf der Karte oder im Fenster haben). Und ab und zu haben Lokale auch eine englische Karte, wenn sie draußen das gar nicht angeben. Nach einmaligem Im-Kreis-Laufen (vorbei an vielen interessanten Kneipen) landete ich bei dem Sushiladen, den ich gestern eigentlich auch schon ins Auge gefasst hatte - weil ich von außen gelinst hatte, dass da eine englische Karte herumlag. Am Ende war auf der Speisekarte alles bebildert und vieles auf Englisch angeschrieben, los ging's: Es wurde eine Platte mit gemischten Thunfisch-Nigiri (Reisbällchen mit Fischstück obendruff, kalt) und Butterfisch (warm) bestellt, dazu ein Bier (ich wollte eigentlich heute keines trinken, aber wer mich kennt ...). Leute, das war himmlisch! Mein Nachbar aß allerlei Sachen, die genauso toll aussahen, wenn der morgen nochmal aufschlägt, sage ich der Oberin oder dem Koch einfach, dass ich alles haben will, was der Typ bestellt (so zum Beispiel den Butterfisch ...). Ich war eigentlich schon satt, aber da waren so tolle Sachen zu sehen, also bestellte ich für sechs Euro Tintenfisch zum Nachtisch - es kam eine komplette Tube Tintenfisch mit Tentakeln. Das war auch sehr lecker (vor allem die Tentakel, die mag ich ja sowieso sehr gerne), nur waren die Stücke für meinen Geschmack ein wenig groß geschnitten, sodass das nicht ganz so bequem zu essen war. Am Ende bezahlte ich für Überfressen mit zwei Bier 28 Euro. Nicht ganz wenig, aber absolut angemessen. Morgen Abend esse ich vielleicht wieder da ...
Die wenigen Meter ins Hotel schaffte ich auch. Ich wollte gerade anfangen, Blog zu schreiben, als ich mich wunderte, wieso auf einmal mein Bett wackelt. Ich muss ziemlich doof aus der Wäsche geguckt haben, bis mir klar wurde, dass ich hier zum ersten Mal in meinem Leben ein richtiges Erdbeben erlebe, mit hin und her schwingenden Kleiderbügeln und einer deutlich spürbaren Bewegung des gesamten Gebäudes. Eine sehr bizarre Erfahrung ... Zwei Minuten (!) später war die Seite des japanischen Wetterdienstes aktualisiert: Das Erdbeben hatte die Stärke 5,6 auf der Momenten-Magnituden-Skala, das Hypozentrum war 40 Kilometer unter dem Epizentrum, das seinerseits 40 bis 45 Kilometer von Kamata hier entfernt war. Sehr erleichtend war der Hinweis, dass aus diesem Erdbeben keine Tsunami-Gefahr erwachse. Insgesamt wurde hier in meinem Bezirk die Auswirkungsstufe 2 erfasst ("Wird von vielen Personen, die in Ruhe in einem Gebäude sind, gespürt." Ähm, richtig.), während direkt am Epizentrum Stufe 5- galt: "Viele Menschen sind verängstigt und glauben, sich an etwas Stabilem festhalten zu müssen." Muss ich nicht unbedingt haben.
So, morgen soll der Himmel hier bewölkt sein. Ich finde, das ist ein guter Grund, morgen mal so richtig Sightseeing zu machen. Aber erst nach dem Ausschlafen - es ist schließlich Urlaub.
Das Aufstehen heute Morgen war, sagen wir, schwierig. Mein Körper sagte mir, als mein Wecker um 6 Uhr runterging: "Wieso willst du um 23 Uhr aufstehen? Wieso bist du schon um 17 Uhr ins Bett? Was machst du hier überhaupt?" Man soll auf seinen Körper hören, und ich stellte den Wecker im Halbstundenrhythmus weiter, bis ich dann um 8.30 Uhr aufstehen konnte. Mein Körper wollte doch schon wieder etwas zu essen haben, und Frühstück gab es im Hotel nur bis 9.30 Uhr. Ich stellte meinen Körper unter die Dusche (abnehmbarer Duschkopf mit gutem Wasserdruck, eine Wohltat für meinen verspannten Hals und Nacken) und fuhr dann runter zur Lobby und zum Frühstück.
Es war eine sehr interessante Mischung aus typisch japanischem (Reissalat mit Bohnen, Makrele, Hackfleischbällchen in einer Honigsoße) und westlichem Frühstück (Rührei, Würstchen, Coca-Cola), vor allem die Cola tat gut. Zu allem Überfluss hatte ich mich an der Kaffeemaschine verdrückt und bekam anstatt der heißen Schokolade einen Kaffee Mokka. Pfui Deibel!
Ich lief durch meine - noch ziemlich verschlafene - Einkaufsstraße zum Bahnhof, ging schnellen Schrittes und zielsicher wie ein Tokioter (höhö) zu meiner Bahn, fuhr bis zur Haltestelle Akihabara nördlich des Hauptbahnhofs und stieg dort in eine andere Bahn um, um nach zwei Haltestellen am Ryōgoku Kokugikan, der Sumohalle, auszusteigen. Die U-Bahnen in Tokio haben keine Nummern, sondern Namen. Man darf nur nicht den Fehler machen, sich die alle einprägen zu wollen, denn die Namen werden in den Fahrplänen praktischerweise in ein- oder zwei Buchstaben umfassende Kombinationen gepresst und mit Farben versehen. Nach einem Tag hat man das raus. Sehr praktisch ist, dass die Haltestellen einer bestimmten Linie prominent nummeriert sind, und dann hat halt die 4. Station auf der Tamagawa-Linie die Nummer TM-04. Das kann man sich sogar als Ausländer merken.
Die Kartenabholung morgens um 10.30 Uhr war problemlos: Man zieht seine Kreditkarte durch einen dort aufgestellten Automaten und die Karte kommt raus. Japan kann auch einfach sein ... Beim Einlass bekam ich einen Hallenplan und eine Übersicht, wer heute gegen wen kämpfen würde. Ich ging hinein, stellte fest, dass ich auf der oberen Tribüne saß und fuhr mit der Rolltreppe (die Japaner lieben Rolltreppen, überall gibt's welche) hoch. Ich hatte festgestellt, dass ich durch den Eingang 6 musste, um dann in Reihe 12 auf Platz 71 zu sitzen. Dort setzte ich mich hin (es war so früh am Morgen noch gähnende Leere, nichts da mit 13.000 Leuten, die da reinpassen) und guckte mir die ersten "Vorkämpfe" an.
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, also mache ich mal einen gefilterten Gedankenstrom: In der Mitte der Arena ist der Ring von einem Durchmesser von 4,50 m oder so, in dem gekämpft wird. Der Ring befindet sich auf einem etwa 5,50 m x 5,50 m großen und 60 cm hohen "Podest" aus so einem lehmartigen Material (jedenfalls sah es von Ferne so aus). Über dem Ring ist ein großes Dach aufgehängt, das wohl an einen Tempel erinnern soll, weil die Sumo-Kämpfe früher auch religiöse Bedeutung hatten. Das merkt man übrigens daran, dass man erstens auch nach der Verstaltung nicht irgendwie diesen Ring betreten soll, weil der immer noch als geheiligt gilt, und dass zweitens die Sumo-Kämpfer vor dem Kampf etliche rituelle Handlungen begehen, mehr dazu gleich.
Um den Ring herum sitzen - zum Teil direkt hinten den Wettkampfrichtern - die erste Zuschauer, und zwar auf Polstern auf dem Boden. Man kann, etwas dahinter, auch eine Box kaufen, das sind dann vier Polster auf dem Boden, die ein bisschen umzäunt sind, sodass man da sein festes Areal hat. Auf dem Oberrang gibt es aber - Gott sei Dank - ganz normale Stühle, sonst hätte ich es da heute nicht so lange ausgehalten, wenn ich auf dem Boden hätte sitzen sollen. Die Japaner sind das eher gewöhnt.
Vor dem Kampf betritt so eine Art Ansager den Ring, der in einer speziellen Art (mit ziemlich hohen Tönen für einen Mann) sagt/singt, wer die beiden Kämpfer sind. Diese treten dann in ihrer leichten Bekleidung in den Ring. Ganz und gar nicht leicht bekleidet ist der Schiedsrichter, der trägt einen Kimono und hat einen schwarzen Hut auf, wie man ihn früher am Hofe trug. In der Hand hat er eine Art Schild, mit dem er am Ende des Kampfes den Sieger anzeigt. Die Schiedsrichter haben - wie die Ringer - unterschiedliche Ränge, was man zum Beispiel sehr deutlich daran sieht, dass die niederen Schiedsrichter für die niederen Ringer wie diese selbst barfuß sind, während die höheren Schiedsrichter Socken und spezielle Schläppchen tragen, wenn ich das richtig gesehen habe. Die Ringer klatschen dann in die Hand und stampfen mit beiden Beinen am Rande des Rings auf den Boden, um das Böse aus dem Ring zu vertreiben. Danach stellen sie sich in die Mitte des Rings und versuchen, sich mit weiterem Gestampfe gegenseitig einzuschüchtern. Der Kampf startet, sobald beide Ringer hinter ihren jeweiligen Markierungen gleichzeitig beide Fäuste auf dem Boden haben. Je höher der Rang der Ringer ist, desto länger dauert das Vorgeplänkel: Bei den Meistern stehen sie dann zwei-, dreimal wieder aus ihrer Grundhocke auf, schlafen sich nochmal selbst auf den Beine oder den Rücken, werfen Reis zur Reinigung des Rings (und zum Kirremachen des Gegners) in den Ring, ehe es dann endlich losgeht.
Der Kampf selbst ist in der Regel binnen zehn, zwanzig Sekunden erledigt. Ein besonders langer Kampf heute dauerte sicher zwei, vielleicht drei Minuten. Danach waren die beiden Wettkämpfer allerdings so richtig geschafft, die kamen kaum mehr vom Boden hoch. Das geht so schnell, weil der Kampf zu Ende ist, sobald einer der beiden mit einem Körperteil außerhalb des Rings ist oder aber mit einem anderen Körperteil als der Fußsohle den Boden berührt. Manchmal stürzen beide aus dem Ring (und auch durchaus mal diesen halben Meter von dem Podest runter), und dann kann es zu einer Kampfwiederholung kommen, wenn die fünf Kampfrichter (die um den Ring herumsitzen) sich nicht einig sind, wer zuerst draußen bzw. am Boden war.
Nach dem Kampf verbeugen sich die Kämpfer, und während der Verlierer gleich abtritt, geht der Sieger noch einmal in die Hocke und bekommt vom Schiedsrichter das Siegesschild gezeigt (und manchmal, in den gesponserten Kämpfen ganz am Ende, auch einen Umschlag mit Geld).
Das Turnier, bei ich heute war, dauert 15 Tage (heute war der 9. Tag) und ist eines von sechs Turnieren im ganzen Jahr. Jeder Ringer tritt genau einmal am Tag an, und wer am Ende die meisten Siege hat, hat das Turnier halt gewonnen. Normalerweise sollten die yokozunas, die höchstrangigen Kämpfer (die sich diesen Titel durch Leistung erworben haben), die anderen besiegen. Das klappt auch meistens, aber nicht immer; wenn ein yokozuna dauerhaft schwach ist, wird von ihm erwartet, dass er zurücktritt.
Soviel in Kurzform (naja ...) zu den Regeln.
Nachdem ich also die erste Dreiviertelstunde oder so auf meinem Platz gesessen hatte, machte ich mal eine kleine Runde, kaufte mir eine kurze englischsprachige Zusammenfassung des Sports (sehr empfehlenswert, zumal das kleine Heftchen nur 100 Yen kostet, also 80 Cent), schaute mir die Imbiss- und die Souvenirstände an. Das Ganze ist sehr entspannt, man kann kommen und gehen, wann man möchte, man darf sogar einmal am Tag das Gelände insgesamt verlassen und wird danach wieder eingelassen - sehr schön.
Mein Mittagessen nahm ich im Untergeschoss ein: Dort bieten einige ältere Damen so einen Eintopf mit Gemüse und Fleisch an. Man zahlt 250 Yen (2 Euro) und holt sich dann eine Schüssel mit dem Zeug, setzt sich an einen der großen Tische, isst mit den Stäbchen die Einlage raus und trinkt die Suppe danach wie ein Glas aus - macht jeder so, dann darf ich das auch ...
Ich ging wieder auf meinen Platz, denn so langsam gingen die Vorkämpfe der niederen Kämpfe in die Kämpfe der Mittelklasse über.
Beim Blick über den Hallenplan (die Kämpfer werden relativ willkürlich einer "West"- und einer "Ost"-Mannschaft zugeordnet und stehen entsprechend in der Ecke) stellte ich fest, dass ich die Rechnung für meinen Sitzplatz ohne das komische japanische Schriftzeichen vor der 12 gemacht: Es gibt nämlich Reihe 12/Platz 71 gleich viermal in der Arena, und zwar auf der Haupttribüne, auf der Gegentribüne, auf der West- und auf der Osttribüne. Mein Zeichen bedeutete "Osttribüne", ich saß aber auf der Haupttribüne. Also ging ich ein Viertel des Rundwegs um die Arena weiter und setzte mich halt auf Reihe 12/Platz 71 auf der Osttribüne - gesehen hat man von überall ziemlich gut.
Während der Mittelklasse füllte sich die Arena deutlich, und als die Meister dann einzogen (die tragen da so riesige zeremonielle Schürzen für diesen Einmarsch), war es schon ziemlich voll. Den Abschluss des rituellen Einmarsches bildet die rituelle Reinigung des Rings durch die yokozunas (jeweils einzeln). Dabei wird eifrig beklatscht, wenn der yokozuna mit seinem Aufstampfen den Ring vom Bösen befreit hat.
Man könnte über die Ernsthaftigkeit, mit der diese rituellen Handlungen vorgenommen werden, ein wenig schmunzeln, aber man kann es auch wie die Japaner sehen, nämlich dass Sumo unter den Sportarten dieser Welt einzigartig darin ist, dass er sich seine Geschichte und der aus ihr hervorgegangenen Riten sehr bewusst ist. Und weh tut es übrigens nicht, wenn man sich mal anschaut.
Man könnte auch ein wenig darüber schmunzeln, dass die Vorbereitungshandlungen der beiden Ringer mit dem In-die-Hocke-gehen, dem So-tun-als-ob-man-angreift, dem Wiederaufstehen, dem Reiswerfen und das Ganze nochmal von vorn so lange dauern, und der Kampf dann nur drei Sekunden, wenn - wie in dem einen Fall - der vermeintlich verteidigende Ringer dem Angreifer ins Gesicht greift (erlaubt!), ihm praktisch eine schmiert (Faustschläge sind verboten, aber diese Ohrfeigen sind in Ordnung, weil man dem Gegner auch an den Hals oder eben ins Gesicht greifen darf und dabei auch ab und zu "abrutscht") und der Angreifer dann von seinem eigenen Schwung mitgerissen wird und in den Ring plumpst. Man kann aber auch das ganze Training sehen und die verschiedenen Grifftechniken und die enorme physische Anstrengung, einen 150-bis-200-Kilo-Mann zu Boden zu bringen und dabei selbst stehen zu bleiben.
Und spätestens wenn man sieht, wie die ganze Arena jubelt, weil der Niederrangige den einen yokuzuna besiegt hat und - weil es der letzte Kampf des Tages war - diesen auch rituell mit einem riesigen Bogen beschließen darf,weiß man, dass das ein faszinierender Sport ist.
Wenn ich mal wieder zur Turnierzeit in Japan bin, gehe ich da, glaube ich, nochmal einen halben Tag hin - man muss nicht morgens um 9 oder 10 Uhr da sein, 13 Uhr, 14 Uhr reicht völlig, dann sieht man noch vier, fünf Stunden. Aber es schadet auch nicht, früh da zu sein, denn dann ist man bei den wichtigen Kämpfen regeltechnisch so fit und kampferfahren, dass man richtig mitfiebern kann.
Ich schwamm mit den Massen zurück zur S-Bahn, fuhr - in der Rushhour wurde es jetzt kuschlig in den Zügen - zurück zu "meinem" Bahnhof Kamata und suchte mir eine Abendessenlokalität. Ich brauche noch ein paar Tage, dann wage ich mich auch in Gaststätten rein, die nur eine japanische (bzw. dann koreanische oder chinesische) Karte haben, aber noch bin ich nicht so weit (was eigentlich Quatsch ist, weil ganz viele Lokale, die keine englische Speisekarte haben, Bilder oder sogar Nachbildungen von den angebotenen Speisen auf der Karte oder im Fenster haben). Und ab und zu haben Lokale auch eine englische Karte, wenn sie draußen das gar nicht angeben. Nach einmaligem Im-Kreis-Laufen (vorbei an vielen interessanten Kneipen) landete ich bei dem Sushiladen, den ich gestern eigentlich auch schon ins Auge gefasst hatte - weil ich von außen gelinst hatte, dass da eine englische Karte herumlag. Am Ende war auf der Speisekarte alles bebildert und vieles auf Englisch angeschrieben, los ging's: Es wurde eine Platte mit gemischten Thunfisch-Nigiri (Reisbällchen mit Fischstück obendruff, kalt) und Butterfisch (warm) bestellt, dazu ein Bier (ich wollte eigentlich heute keines trinken, aber wer mich kennt ...). Leute, das war himmlisch! Mein Nachbar aß allerlei Sachen, die genauso toll aussahen, wenn der morgen nochmal aufschlägt, sage ich der Oberin oder dem Koch einfach, dass ich alles haben will, was der Typ bestellt (so zum Beispiel den Butterfisch ...). Ich war eigentlich schon satt, aber da waren so tolle Sachen zu sehen, also bestellte ich für sechs Euro Tintenfisch zum Nachtisch - es kam eine komplette Tube Tintenfisch mit Tentakeln. Das war auch sehr lecker (vor allem die Tentakel, die mag ich ja sowieso sehr gerne), nur waren die Stücke für meinen Geschmack ein wenig groß geschnitten, sodass das nicht ganz so bequem zu essen war. Am Ende bezahlte ich für Überfressen mit zwei Bier 28 Euro. Nicht ganz wenig, aber absolut angemessen. Morgen Abend esse ich vielleicht wieder da ...
Die wenigen Meter ins Hotel schaffte ich auch. Ich wollte gerade anfangen, Blog zu schreiben, als ich mich wunderte, wieso auf einmal mein Bett wackelt. Ich muss ziemlich doof aus der Wäsche geguckt haben, bis mir klar wurde, dass ich hier zum ersten Mal in meinem Leben ein richtiges Erdbeben erlebe, mit hin und her schwingenden Kleiderbügeln und einer deutlich spürbaren Bewegung des gesamten Gebäudes. Eine sehr bizarre Erfahrung ... Zwei Minuten (!) später war die Seite des japanischen Wetterdienstes aktualisiert: Das Erdbeben hatte die Stärke 5,6 auf der Momenten-Magnituden-Skala, das Hypozentrum war 40 Kilometer unter dem Epizentrum, das seinerseits 40 bis 45 Kilometer von Kamata hier entfernt war. Sehr erleichtend war der Hinweis, dass aus diesem Erdbeben keine Tsunami-Gefahr erwachse. Insgesamt wurde hier in meinem Bezirk die Auswirkungsstufe 2 erfasst ("Wird von vielen Personen, die in Ruhe in einem Gebäude sind, gespürt." Ähm, richtig.), während direkt am Epizentrum Stufe 5- galt: "Viele Menschen sind verängstigt und glauben, sich an etwas Stabilem festhalten zu müssen." Muss ich nicht unbedingt haben.
So, morgen soll der Himmel hier bewölkt sein. Ich finde, das ist ein guter Grund, morgen mal so richtig Sightseeing zu machen. Aber erst nach dem Ausschlafen - es ist schließlich Urlaub.
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