Meine Länder

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Mittwoch, 27. September 2017

Das Tor ohne Wiederkehr

Von wegen am Strand liegen und entspannen! Heute war mal wieder ein Abenteuertag, meine Ellbogen (da habe ich mich nicht gut genug eingeschmiert) und meine Rübe sind ein bissel rot, ich habe viel zu wenig getrunken (und gerade Geräusche von mir gegeben, als ich die Cola getrunken habe, dass sich ältere Damen empört hätten), aber es war sehr spannender Tag und ein Tag, an dem ich mal wieder viel über Geschichte gelernt habe, was ich vorher nicht wusste ...

Nach einer unruhigen Nacht (die Klimaanlage hat ganz schön gekühlt und auf die Idee, sie abzustellen, kam ich erst, als ich halbwegs wach war, heute am frühen Morgen) stand ich auf, warf mich wie immer in meine Badehose und mein Strandhemd und ging, man höre und staune, an den Strand. Heute nieselte es nicht, sodass 500% mehr Leute, also sechs (oder so), jetzt am Strand waren, aber das war natürlich immer noch leer.

Die Definition von Schwachsinn ist, das Gleiche immer und immer wieder zu tun und verschiedene Ergebnisse zu erwarten. In dem Sinne (und vielleicht in manch anderem auch ...) bin ich also schwachsinnig, denn auch heute versuchte ich es ins Meer. Es zog mir fast die Badehose aus, weil so viel Sand in meine Badehosentasche quoll, und einmal hat's mich richtig umgesäbelt, das wird nix mehr mit entspanntem Im-Meer-Planschen hier in Benin (in Lomé soll es Stellen geben, wo es geht, mal sehen ...).

Das Schwimmbad war um 8.30 Uhr noch zu, also duschte ich im Zimmer und ging dann zum Frühstück, das ganz annehmbar war. Ich sprach meinen Chef an (der ein bisschen Englisch spricht, wir wurschteln uns mit Englisch und Französisch so durch, da geht manches daneben, aber das ist nicht schlimm ...), dass ich nach Ouidah wollte, und er rief einen Guide an, den er an der Hand hat. Der Guide kam und wollte 30.000 Francs haben, knapp 50 Euro, keineswegs wenig, aber andererseits für die Fahrerei und alles - ich willigte ein (und verhalf wahrscheinlich seiner ganzen Familie zu Wohlstand, weil es mich nicht wundern würde, wenn das hier in Benin fast schon ein Monatsgehalt wäre ...).

Joa, und dann gingen wir zur Einfahrt dieses Hoteldörfchens, da standen ein paar hübsche Jeeps rum, ich wartete darauf, dass eine piept, weil er sie aufmacht. Nix da, er fragte, ob ich ein Auto hätte, was ich verneinte. Okay, meinte er, dann fahren wir eben mit dem Moto.

Er gab mir eine Lederkombi, die mir sogar passte, und einen Integralhelm, selbst die Motorradstiefel waren in meiner Größe ... Okay, schon wieder Fake News produziert: Nichts dergleichen war der Fall. Er fuhr mit seinem (hübschen) - wenn ich jetzt "pyjamaartigen Hosenanzug" schreibe, klingt das so abwertend, aber so ist es gar nicht gemeint, also - pyjamaartigen Hosenazug und Flipflops, ich saß mit meinen Jeans und Hemd und Turnschühchen auf dem Sozius und hielt mich anfangs an seinen Schultern fest, ehe ich nach ein paar Minuten der Gewöhnung an seine Fahrweise die Hände auf die Oberschenkel legte.

Das war mal wieder einer der klassischen Fälle an Verhaltensweisen, die man in Deutschland niemalsnie zeigen würde und hier im Ausland halt schonmal mitnimmt. Andererseits fahren die hier in Benin rücksichtsvoller (was heißen kann, dass der Autofahrer einen halt so lange anhupt, bis man stehen bleibt, aber er kalkuliert dich wenigstens mit ein, was in Deutschland nicht immer der Fall ist). Langer Rede kurzer Sinn: Alles gut gelaufen (Mutter, musst nicht mehr den Atem anhalten ...).

Wir fuhren eine Stunde, anderthalb, mit dem Gefährt die ungefähr 45 Kilometer nach Ouidah, vorbei an einer Art beninischem Venedig mit Häusern im See (keine Ahnung, ob Überschwemmung oder von Anfang an so gewollt), durch Come, eine quirlige kleine Stadt, über eine wunderbar geteerte Straße (naja, okay, das ist die Hauptverkehrsstrecke von Lagos nach Abidjan, dass die geteert ist, sollte selbstverständlich sein, wenn sie auch nur eine Fahrspur pro Richtung hat ...) und machten den ersten Halt am Pythontempel. Ich weiß nicht, ob mein Guide hier Eintritt für mich bezahlte, ich zahlte jedenfalls hier (und an den anderen Orten, wo wir waren) nichts drauf, die 30.000 CFA-Francs waren also alles inklusive, na immerhin ...

Mein Guide sprach ein bisschen Englisch, auch hier wurschtelten wir uns durch, weil er gar nicht so wenig sprach wie behauptet, und irgendein anderer Typ erläuterte so einen heiligen Baum. Naja, die Hauptattraktion kam aber danach, denn da brachte der andere Typ eine Python aus dem Pythontempel und legte sie mir um den Hals. Schick, da hatte ich nun also das zweite Mal im Leben eine Schlange um den Hals, und auch hier war es wieder ein sehr angenehmes Gefühl. Man konnte sogar ein bisschen mit dem Tier "spielen", es streicheln, dann streckte es einem die Zunge raus, und als die französische (?) Reisegruppe weg war, durfte ich auch in den Pythontempel selbst rein - da lagen dann zwei Dutzend Schlangen in der Gegend herum, bewegten sich kaum und ich war begeistert.

Die Guides erläuterten dann, dass die Pythons morgens aus dem Tempel in die Stadt gelassen werden, sie dort dann ein bisschen was fressen (Hühnchen zum Beispiel) und sie dann eben wieder in den Tempel kommen (ich weiß nicht, ob selbständig oder ob sie geholt werden, diese Frage haben die Leute nicht verstanden). So, ich kenne eine ganze Menge Leute, die ab sofort einen großen Bogen um Ouidah oder sogar ganz Benin, ach, was sag ich, um ganz Westafrika machen, aber das sind wirklich hübsche Tiere, diese Pythons, die kann man ruhig mal streicheln ...

Gegenüber ist die angeblich älteste Kirche Afrikas, erbaut wahrscheinlich von den Portugiesen (das wissen die Leute schon, aber ich habe es entweder nicht gehört oder schon wieder vergessen). Danach ließ ich mir für drei Euro eine garantiert echte beninische Maske aufschwatzen, es dauerte zehn Minuten, bis mir der Händler das Wechselgeld wiederbrachte, und dann ging es zum alten portugiesischen Fort.

Einer der Aufseher sprach ziemlich gutes Englisch und erläuterte uns das Fort selbst und das Sklavereimuseum, welches sich darin befindet. Das Fort selbst wurde laut Wikipedia 1721 erbaut, von den Portugiesen mehrmals verlassen, endgültig aber erst 1961, als das Fort im schon unabhängigen Dahomey, dem späteren Benin, ein portugiesisches (Mini-)Territorium war, ehe die Afrikaner die letzten zwei Portugiesen aus dem Fort eskortierten und selbiges einnahmen. Das Sklavereimuseum erläuterte anhand von einigen Exponaten und vielen Schaubildern den Mechanismus der Sklaverei - die Könige von Dahomey verkauften den Europäern (Franzosen, Portugiesen, Niederländer, Briten und Dänen - ausnahmsweise haben die Deutschen mal nicht die erste Geige gespielt) für Alkohol und anderen, naja, Krimskrams, halt Sklaven. So gab es pro Tabakpfeife zwischen zwei und vier Sklaven - das war mal ein Geschäft, würde ich sagen. Diese Sklaven mussten dann die etwa vier Kilometer von Ouidah-Stadt zum Strand laufen, mehr dazu gleich.

Anhand von einigen Fotos erläuterte der Aufseher dann auch, dass viele beninische Bräuche auch heute noch in Brasilien anzutreffen sind und umgekehrt einige brasilianische Bräuche von den befreiten Sklaven bei deren Rückkehr nach Benin mitgebracht wurden - kein Wunder, dass die Voodoo-Religion in Brasilien oder Haiti so verbreitet ist, auch wenn sie hier in Benin und genauer in Ouidah ihre spirituelle Quelle hat. Zum Schluss erläuterte der Aufseher dann anhand von bunt bemalten Tüchern, dass im Voodoo die Vorfahren mit ihren Nachkommen über Gleichnisse kommunizierten - das Bild, bei dem ein Mann erfolglos versucht, einen großen Fisch in ein (zu kleines) Gefäß zu bekommen, steht dabei - wenig überraschend - dafür, dass man seine Zeit nicht mit Unerreichbarem verschwenden soll.

Ich weiß (noch) zu wenig über Voodoo/Voudon, daher klingt das hier alles wahrscheinlich ein bisschen zu fasziniert und zu naiv, aber ich werde mich da sicherlich noch ein bisschen einlesen, um mehr von Voodoo zu wissen und zu verstehen als das "Nadeln-in-Menschenpuppen-Stechen", das man aus der klischeehaften Darstellung im Fernsehen kennt (und was ich hier bisher - außer auf dem Touristenmarkt in Lomé - überhaupt nicht gesehen habe).

Weiter ging es zur Place Chacha, an dem ein Portugiese, der sich im effizienten Sklavenhandel offenbar besonders hervortat ("chacha" scheint übertragen so etwas wie "schnell, schnell" zu heißen in der hiesigen Sprache), namentlich verewigt ist. Dort steht ein großer Baum und eine erste Statue, denn hier beginnt die Route des Esclaves, der Sklavenweg zum Meer. Hier stieß ein Kumpel meines Guides dazu, der noch ein bisschen besser Englisch sprach - wir fuhren mit dem Moto zunächst zum Baum des Vergessens, um den die Sklaven siebenmal herumlaufen mussten, um ihre Heimat zu vergessen, dann ging es weiter zum Denkmal an den "Dunkelraum", in dem die Sklaven "geprüft" wurden, indem sie zwei Wochen lang mit 250 anderen Sklaven in ein Verließ gepfercht wurden, ohne Wasser und Nahrung, und außerdem wurde - wenn ich das richtig verstanden habe - es sich nicht immer die Mühe gemacht, die schon Verstorbenen Sklaven wieder aus dem Verließ zu schaffen. Nur die stärksten Sklaven überlebten diese Tortur (und durften zur Belohnung nach Amerika), die anderen wurde in einem Massengrab verscharrt, an welches ein (sehr schönes) Denkmal erinnert, zu dem wir dann ein paar Meter weiterfuhren.

Diese ganze Geschichte traf mich völlig unvorbereitet, sodass ich angesichts des lakonischen Tonfalls der Beniner, wenn sie davon erzählen, manchmal nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte (etwa, wenn der Guide auf die Figur zeigt, die ihre Ketten gesprengt hat, und meint, dass die meisten Sklaven erst im Tod wieder frei wurden), zumal das Ganze dann auch so nebenbei noch in ihren Glauben eingebettet ist, dass dieser Massenmord irgendwie als unabänderliches Schicksal herüberkommt. Du stehst dann da mehr oder weniger (mehr!) betroffen in der Gegend herum, weißt nicht, was du sagen sollst (Klappe halten ist meistens ein gutes Vorgehen, ich war ziemlich still ...), naja, und staunst.

Beim nächsten Stopp, wieder nur ein paar Meter weiter, dem Baum der Wiederkehr, fängt man dann allerspätestens an, diese Menschen zu bewundern, denn dieser Baum steht als Zeichen dafür, dass die Sklaven zwar in ihrem irdischen Leben nicht mehr in ihre Heimat zurückkommen sollten, wohl aber im Leben nach dem Tod - denn dort steht eine Statue eines Sklaven, dessen Kopf kein Kopf mehr ist, sondern ein Baum, eben der Baum der Wiederkehr.

Der finale Höhepunkt (oder Tiefpunkt, wie man mag) dieses Sklavenweges kommt dann am Strand, denn dort steht die Pforte ohne Wiederkehr, ein Mahnmal für die Sklaven, die hier aus Afrika in die Neue Welt verschifft wurden und von denen die meisten Afrika nie wiedersahen. Hier, an diesem wunderbaren Strand, bekommt man die Idee einer Ahnung von der Trostlosigkeit, die die Menschen damals empfunden haben müssen, als sie hier halbnackt, mit Ketten um den Hals aneinandergekettet, auf Boote "verladen" wurden, die sie zu den großen Schiffen brachten, auf denen sie zusammengepfercht und die Frauen gezwungen wurden, auf dem Rücken zu schlafen, denn eine schwangere Sklavin brachte mehr Geld ein (klar, zwei Sklaven auf einmal ...). Es ist kein wirkliches Wunder, dass etliche der Sklaven sich entschieden, bei dem Transfer zu den Schiffen über Bord zu gehen (und dabei ihre ganze Kettenschaft mit ins Wasser zogen), um dem Schicksal, das sie erwartete, zu entgehen.

Joa, soviel zu einem der Tage, an denen ich am Strand auf der faulen Haut liegen wollte ...

Wir fuhren mit dem Moto zurück und fanden keinen Geldautomaten, sodass ich dem Guide dann Euro-Bargeld in die Hand drückte. Ich durfte mich in seinem Referenzbuch verewigen und brauchte erstmal ein Bier.

Nun, ich ging nochmal erfolglos an den Strand, dann erfolgreich in den Pool, ich werde morgen vom ungewohnten Sitzen auf dem Moto ganz schön Muskelkater in den Oberschenkeln haben, und freue mich aufs Abendessen. Sorry, das heute muss erstmal sacken ...

Wer aus irgendwelchen Gründen in (Süd-)Benin landet und einen Tag Zeit hat, sollte sich Ouidah angucken - es ist sehr beeindruckend.

Fotos wollen heute nicht und kommen daher morgen ...

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