… war ich heute
Morgen, als ich unsere Tasche mit den Pässen und dem Rechner in die
Gepäckaufbewahrung gab. Als wir zurückkamen, war die rote Tasche
nicht mehr da, wo die Koffer waren. Meine Mutter wurde ganz blass,
ich ziemlich. Eine Putzfrau sah meiner Mutter an, dass sie kurz vor
dem Umkippen war, und fragte, ob wir die rote Tasche suchten. „Ja,
die suchen wir!“ Sie schickte uns zur Rezeption, die gaben uns die
Tasche und sagten, dass man sie irgendwo an einer Sitzgruppe gefunden
habe. Wer sie dahingebracht hatte, wird ein ewiges Rätsel bleiben,
die Putzfrau, die die Tasche gefunden hatte, bekam ein deftiges
Trinkgeld, und ich werde so etwas nie, nie, nie, nie, niemals wieder
machen …
Aber einmal auf
dieser Tour mussten wir ja auch mal Glück haben.
In der
Wahrscheinlichkeitstheorie gibt es das Konzept der bedingten
Erwartung, und so etwas Ähnliches gibt es auch, wenn bei einer Reise
etwas schiefgeht. (Ich will jetzt hier also kein mathematisches
Proseminar abhalten, keine Sorge.) Wenn mir vor der Reise einer
gesagt hätte, dass wir anstatt am Samstag Abend in Dakar ein
Bierchen zu schlürfen am Samstag Abend noch in Madrid in einem
Flughafenhotel herumhängen und um 1 Uhr noch nicht im Bett sind,
hätte ich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.
Gestern Abend,
nachdem so vieles schiefgelaufen war, waren wir einfach nur froh und
glücklich, dass wir in Madrid unser Gepäck hatten, dass der
Transfer vom Flughafen und der Check-in beim Hotel wunderbar klappte,
dass das Hotel sehr in Ordnung war und wir nachts um ein Uhr noch ein
Zwei-Gänge-Menü mit zwei Bier aufs Haus (oder eher auf die
Fluggesellschaft) bekamen.
Der Abflug gestern
verzögerte sich weiter von 18.10 Uhr auf 18.20 Uhr, 18.50 Uhr, 19.10
Uhr, 19.20 Uhr, 19.50 Uhr, 20.10 Uhr. Irgendwann um 20.32 Uhr oder so
durften wir endlich boarden, um 20.45 Uhr hob der Flieger ab, um
22.52 Uhr betrat ich erstmals seit mehr als acht Jahren spanischen
Boden. (Planmäßige Ankunft war 13.35 Uhr, also hatten wir fast
neuneinhalb Stunden Verspätung … Bei einem Zwei-Stunden-Flug schon
eine reife Leistung.)
Ich muss sagen,
dass unsere 100 Mann starke Schicksalsgemeinschaft sehr diszipliniert
war, da ist keiner ausgerastet (Klar, was hätte es gebracht? Gar
nichts), selbst die Kinder weinten kaum. Dem Bodenpersonal machte
manch einer leise Vorwürfe, dass sie die Verspätungen immer so
salamitaktikartig vorbrachten, aber ich vermute jetzt mal zu ihren
Gunsten, dass die vom Kapitän oder von der Technik auch so
hingehalten wurden. Die Ausgabe der Essensgutscheine passte ganz gut,
auch wenn sie ein bisschen mehr Getränke hätten auffahren können,
die Organisation dann hier in Madrid war einfach nur sehr gut, das
haben sie ganz gut gewuppt.
In Madrid bekamen
wir dann nachts um 1 Uhr noch ein Menü mit Fisch-Empanadas oder
Pasta als erstem und (einem sehr gutem) Fisch oder Albóndigas
(Hackfleischbällchen) als zweitem Gang. Das war durchaus essbar. Die
zwei Bier waren auch trinkbar, auch wenn es Heineken war und wir in
unserem Zustand wahrscheinlich sogar Warsteiner heruntergespült
hätten.
Die Nacht war
kurz, ich träumte von Flughafentanten, die einen in der Gegend
herumführten, und wachte nach fünfeinhalb Stunden Schlaf um 6.30
Uhr auf. Ganz so hatte ich mir meinen Urlaub jetzt doch nicht
vorgestellt … Um 8.30 Uhr gingen wir zum Frühstück, um gegen halb
zehn machten wir uns auf zur U-Bahn-Endhaltestelle unweit des Hotels.
Dort kauften wir uns für zwei Euro pro Person Fahrkarten und fuhren
bis zur Oper im Stadtzentrum von Madrid. Dort fuhr zwar ständig so
ein Hop-On-Hop-Off-Bus an uns vorbei, hielt aber nicht. Also gingen
wir ein paar Schritte, kamen am königlichen Palast und einer
hübschen Kathedrale vorbei („nicht unansehnlich“ darf ich ja
nicht mehr schreiben, sagt meine Ma) und suchten die Bushaltestelle.
Mein Handy
vibrierte und das konnte nichts Gutes bedeuten. Die
E-Mail von meinem Hotelvermittler verkündete mir, dass wir gestern
nicht in Dakar aufgetaucht wären und unser Hotel daher unseren
Aufenthalt storniert hätte. Der erste Teil, dass wir nicht da waren,
war schwer widerlegbar, nur hatte ich den Freunden in Dakar mehrere
E-Mails geschrieben, dass wir heute Abend ankämen. Die sehr
freundliche Frau von Booking.com konnte die E-Mails einsehen (nein,
da war nicht die NSA schuld, sondern ich hatte eine E-Mail-Adresse
für extra solche Zwecke verwendet) und rief mal in Dakar an.
Nach ein paar Minuten sprach sie wieder mit mir und erläuterte mir,
dass das Hotel um 24 Uhr zumacht. Nun sollten wir um 21.45 Uhr
planmäßig in Dakar ankommen, aber die Hotelchefin war der Ansicht,
dass uns zweieinviertel Stunden nicht reichen würden, um einzureisen
und mit dem Taxi die paar Kilometer zum Hotel zu kommen. Sie schlug
uns vor, dass wir die Buchung kostenlos stornieren könnten (die
Stornofrist war längst abgelaufen und ich hatte mich damit
abgefunden, dass wir die erste Nacht sowieso bezahlen müssten) und
ein anderes Hotel nehmen könnte. Gesagt, getan, plötzlich standen
wir also ohne Hotel für heute Abend da. Sorgen machten wir uns darum
nicht, da könnte ja jeder kommen, wird schon schiefgehen.
Apropos schiefgehen: Prompt in dem Moment fanden wir die
Bushaltestelle, an der auch schon ein Hop-On-Hop-Off-Bus stand, ich
winkte ihm zu, er winkte nicht zurück, sondern fuhr drei Meter
weiter, um an einer Ampel zu stehen. Die Tür machte der freundliche
Geselle nicht auf … Vier Minuten später kam einer weiterer Bus mit
nun wirklich sehr freundlichen Damen, sodass wir hier einsteigen
konnten und uns aufs kühle und etwas windige Oberdeck setzten.
Wow, liebe Leute, Madrid ist toll. Diese Prachtstraßen, wunderschöne
Gebäude, tolle Parks, die wir leider nur von außen sahen,
eindrucksvolle Stadttore, das kann mich sich alles mal in Ruhe und
vorsätzlich angucken. Spätestens, wenn ich alt bin …
Zwei nicht so schlafreiche Nächte machten sich bemerkbar, sodass wir
nach einer Umrundung des Parcours erstmal eine schöne Kneipe
suchten. Tapas kennt jeder, Picos noch nicht ganz
jeder: Es handelt sich dabei um Kleinigkeiten, die – wenn mich
meine Spanischkenntnisse nicht völlig täuschen – von dem
namengebenden Spießchen zusammengehalten werden.
Auf der Karte standen acht verschiedene Picos für jeweils 2,50 €
bis 2,75 €. Überhaupt, und erst in Madrids Innenstadt, konnte das
ja nichts Großes sein. Meine Ma bestellte also auf mein Anraten hin
die Kombination aller acht Picos, während ich ein Menu de la casa
mit drei Tapas als Vorspeise, einem Lachs und einem Obstkuchen
bestellte. Zum Trinken wurden natürlich Hopfenkaltschalten gereicht.
Ich bin ein Trottel (jaja, ich weiß ja, dass jetzt viele denken:
„Erzähl mir was Neues“): Ich hatte gedacht, diese Picos hätten
solche Proportionen wie Zahnstocher mit einer Oliven und einem
Käsewürfel dran. Weit gefehlt. Jedes dieser Picos war ein kleines
Kunstwerk auf einem halben Brötchen, mit Lachs umwickelter
Frischkäse, Sardellen, Tortilla und andere Köstlichkeiten, während
ich meine ebenfalls sehr guten Tapas und den sehr, sehr leckeren
Lachs verspeiste. Zum Glück war unser Frühstück nicht ganz so
üppig gewesen (trotz Büffet), sonst hätte die Schlagzeile der Bild
morgen gelautet: „Deutsche Touristen in Madrid wegen guten Essens
geplatzt! 5.000 € Sachschaden in Innenstadt-Kneipe! Bild schämt
sich!“
Wir fuhren zurück mit der U-Bahn, liefen die Strecke zum Hotel
zurück (selten war ein Verdauungsspaziergang so nötig und
hilfreich), erschreckten uns zu Tode (s.o.) und fuhren dann mit dem
Taxi zum Flughafen. Naja, Check-in und Ausreise und so lief alles
gut, und unser Flug ging fast pünktlich weg und landete sogar
überpünktlich.
Um 21.42 Uhr betrat ich erstmals senegalesischen Bode, kurz darauf standen wir in der Schlange zur Einreise. Nach vielleicht zwanzig Minuten waren wir dran, der Grenzer wollte Fingerabdrücke haben, die sollte er kriegen. Nach der Kontrolle, ob wir auch wirklich einen Einreisestempel hatten, schlugen wir uns zum Gepäckband (meine Ma) bzw. zum Geldautomaten (ich) durch. Ich war im dritten Anlauf erfolgreich, sie zur Hälfte, denn als ich kam, hatte sie erst einen Koffer erobert.
Erinnerungen an Algier und Astana wurden wach, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Iberia auf einem Direktflug (wir hatten ja heute Abend eingecheckt) unseren Koffer vergräbt. Nach einigen Minuten bangen Wartens sahen wir - dieses Mal das graue - Plastik des Glücks.
Nach einer chaotischen Schlange durch den Zoll (guckt da überhaupt einer auf das Display des Röntgengeräts) waren wir draußen und an der frischen Luft. Sehr, sehr schön. Weniger schön waren die ganzen Taxifahrer, die uns umlagerten und uns ins Taxi ziehen wollten. Ich hatte evaluiert, dass unser Hotel relativ nah war, deswegen gingen wir zu Fuß.
Naja, 300 Meter ohne Gepäck auf einem deutschen Bürgersteig sind etwas anderes als 300 Meter mit Gepäckstücken auf einem gelegentlich etwas unebenen senegalesischen Bürgersteig. Meine Ma schwitzte, ich schwitzte trotz der ganz akzeptablen Temperaturen, als wir endlich unser Hotel sahen.
Der Check-in funktionierte, aber das Restaurant war schon zu, sodass uns der - mit reichlich Trinkgeld ob des Koffer-die-Treppen-Hochschleppens belohnte - Boy anbot, uns Bier und Wasser in einem Shop zu kaufen.
Er ging und ward eine Dreiviertelstunde nicht mehr gesehen. Wir konnten uns gerade noch halb verdurstet zur Zimmertür schleppen und sie ihm öffnen, dann hatten wir unser Bier und unser Wasser.
Nunja, und jetzt haben meine Ma und ich mit importiertem "Royal Dutch"-Bier auf mein Bergfest angestoßen. Der Senegal ist mein 104. Land, nach meiner Zählung kommen jetzt noch 103. Und das hundertdrittletzte kommt morgen in Form von Gambia (ich muss schnell schreiben, damit "morgen" noch stimmt, denn es ist zehn vor zwölf hier ...).
Ich hatte mir das vielleicht etwas feierlicher vorgestellt, aber das holen wir sicherlich auf dieser Tour noch nach, dass wir mit gutem Essen und Blick aufs Meer und so'n Gedöns auf das Bergfest einen (oder mehr) trinken.
Jetzt gehen wir erstmal schlafen, morgen geht's - inschallah - irgendwie nach Gambia und dann hoffentlich so, dass wir morgen Nachmittag schonmal zum Schwimmen ins Meer können. Aber so wie ich die Tour bisher erlebt hatte, oh Gott, oh Gott ...
Over and out bis zum nächsten Post aus dem Gambia. Hoffentlich.
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