Meine Länder

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Montag, 14. März 2016

Von allen guten Geistern verlassen


… war ich heute Morgen, als ich unsere Tasche mit den Pässen und dem Rechner in die Gepäckaufbewahrung gab. Als wir zurückkamen, war die rote Tasche nicht mehr da, wo die Koffer waren. Meine Mutter wurde ganz blass, ich ziemlich. Eine Putzfrau sah meiner Mutter an, dass sie kurz vor dem Umkippen war, und fragte, ob wir die rote Tasche suchten. „Ja, die suchen wir!“ Sie schickte uns zur Rezeption, die gaben uns die Tasche und sagten, dass man sie irgendwo an einer Sitzgruppe gefunden habe. Wer sie dahingebracht hatte, wird ein ewiges Rätsel bleiben, die Putzfrau, die die Tasche gefunden hatte, bekam ein deftiges Trinkgeld, und ich werde so etwas nie, nie, nie, nie, niemals wieder machen …

Aber einmal auf dieser Tour mussten wir ja auch mal Glück haben.

In der Wahrscheinlichkeitstheorie gibt es das Konzept der bedingten Erwartung, und so etwas Ähnliches gibt es auch, wenn bei einer Reise etwas schiefgeht. (Ich will jetzt hier also kein mathematisches Proseminar abhalten, keine Sorge.) Wenn mir vor der Reise einer gesagt hätte, dass wir anstatt am Samstag Abend in Dakar ein Bierchen zu schlürfen am Samstag Abend noch in Madrid in einem Flughafenhotel herumhängen und um 1 Uhr noch nicht im Bett sind, hätte ich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.

Gestern Abend, nachdem so vieles schiefgelaufen war, waren wir einfach nur froh und glücklich, dass wir in Madrid unser Gepäck hatten, dass der Transfer vom Flughafen und der Check-in beim Hotel wunderbar klappte, dass das Hotel sehr in Ordnung war und wir nachts um ein Uhr noch ein Zwei-Gänge-Menü mit zwei Bier aufs Haus (oder eher auf die Fluggesellschaft) bekamen.

Der Abflug gestern verzögerte sich weiter von 18.10 Uhr auf 18.20 Uhr, 18.50 Uhr, 19.10 Uhr, 19.20 Uhr, 19.50 Uhr, 20.10 Uhr. Irgendwann um 20.32 Uhr oder so durften wir endlich boarden, um 20.45 Uhr hob der Flieger ab, um 22.52 Uhr betrat ich erstmals seit mehr als acht Jahren spanischen Boden. (Planmäßige Ankunft war 13.35 Uhr, also hatten wir fast neuneinhalb Stunden Verspätung … Bei einem Zwei-Stunden-Flug schon eine reife Leistung.)

Ich muss sagen, dass unsere 100 Mann starke Schicksalsgemeinschaft sehr diszipliniert war, da ist keiner ausgerastet (Klar, was hätte es gebracht? Gar nichts), selbst die Kinder weinten kaum. Dem Bodenpersonal machte manch einer leise Vorwürfe, dass sie die Verspätungen immer so salamitaktikartig vorbrachten, aber ich vermute jetzt mal zu ihren Gunsten, dass die vom Kapitän oder von der Technik auch so hingehalten wurden. Die Ausgabe der Essensgutscheine passte ganz gut, auch wenn sie ein bisschen mehr Getränke hätten auffahren können, die Organisation dann hier in Madrid war einfach nur sehr gut, das haben sie ganz gut gewuppt.

In Madrid bekamen wir dann nachts um 1 Uhr noch ein Menü mit Fisch-Empanadas oder Pasta als erstem und (einem sehr gutem) Fisch oder Albóndigas (Hackfleischbällchen) als zweitem Gang. Das war durchaus essbar. Die zwei Bier waren auch trinkbar, auch wenn es Heineken war und wir in unserem Zustand wahrscheinlich sogar Warsteiner heruntergespült hätten.

Die Nacht war kurz, ich träumte von Flughafentanten, die einen in der Gegend herumführten, und wachte nach fünfeinhalb Stunden Schlaf um 6.30 Uhr auf. Ganz so hatte ich mir meinen Urlaub jetzt doch nicht vorgestellt … Um 8.30 Uhr gingen wir zum Frühstück, um gegen halb zehn machten wir uns auf zur U-Bahn-Endhaltestelle unweit des Hotels. Dort kauften wir uns für zwei Euro pro Person Fahrkarten und fuhren bis zur Oper im Stadtzentrum von Madrid. Dort fuhr zwar ständig so ein Hop-On-Hop-Off-Bus an uns vorbei, hielt aber nicht. Also gingen wir ein paar Schritte, kamen am königlichen Palast und einer hübschen Kathedrale vorbei („nicht unansehnlich“ darf ich ja nicht mehr schreiben, sagt meine Ma) und suchten die Bushaltestelle.

Mein Handy vibrierte und das konnte nichts Gutes bedeuten. Die E-Mail von meinem Hotelvermittler verkündete mir, dass wir gestern nicht in Dakar aufgetaucht wären und unser Hotel daher unseren Aufenthalt storniert hätte. Der erste Teil, dass wir nicht da waren, war schwer widerlegbar, nur hatte ich den Freunden in Dakar mehrere E-Mails geschrieben, dass wir heute Abend ankämen. Die sehr freundliche Frau von Booking.com konnte die E-Mails einsehen (nein, da war nicht die NSA schuld, sondern ich hatte eine E-Mail-Adresse für extra solche Zwecke verwendet) und rief mal in Dakar an.

Nach ein paar Minuten sprach sie wieder mit mir und erläuterte mir, dass das Hotel um 24 Uhr zumacht. Nun sollten wir um 21.45 Uhr planmäßig in Dakar ankommen, aber die Hotelchefin war der Ansicht, dass uns zweieinviertel Stunden nicht reichen würden, um einzureisen und mit dem Taxi die paar Kilometer zum Hotel zu kommen. Sie schlug uns vor, dass wir die Buchung kostenlos stornieren könnten (die Stornofrist war längst abgelaufen und ich hatte mich damit abgefunden, dass wir die erste Nacht sowieso bezahlen müssten) und ein anderes Hotel nehmen könnte. Gesagt, getan, plötzlich standen wir also ohne Hotel für heute Abend da. Sorgen machten wir uns darum nicht, da könnte ja jeder kommen, wird schon schiefgehen.

Apropos schiefgehen: Prompt in dem Moment fanden wir die Bushaltestelle, an der auch schon ein Hop-On-Hop-Off-Bus stand, ich winkte ihm zu, er winkte nicht zurück, sondern fuhr drei Meter weiter, um an einer Ampel zu stehen. Die Tür machte der freundliche Geselle nicht auf … Vier Minuten später kam einer weiterer Bus mit nun wirklich sehr freundlichen Damen, sodass wir hier einsteigen konnten und uns aufs kühle und etwas windige Oberdeck setzten.

Wow, liebe Leute, Madrid ist toll. Diese Prachtstraßen, wunderschöne Gebäude, tolle Parks, die wir leider nur von außen sahen, eindrucksvolle Stadttore, das kann mich sich alles mal in Ruhe und vorsätzlich angucken. Spätestens, wenn ich alt bin …

Zwei nicht so schlafreiche Nächte machten sich bemerkbar, sodass wir nach einer Umrundung des Parcours erstmal eine schöne Kneipe suchten. Tapas kennt jeder, Picos noch nicht ganz jeder: Es handelt sich dabei um Kleinigkeiten, die – wenn mich meine Spanischkenntnisse nicht völlig täuschen – von dem namengebenden Spießchen zusammengehalten werden.

Auf der Karte standen acht verschiedene Picos für jeweils 2,50 € bis 2,75 €. Überhaupt, und erst in Madrids Innenstadt, konnte das ja nichts Großes sein. Meine Ma bestellte also auf mein Anraten hin die Kombination aller acht Picos, während ich ein Menu de la casa mit drei Tapas als Vorspeise, einem Lachs und einem Obstkuchen bestellte. Zum Trinken wurden natürlich Hopfenkaltschalten gereicht.

Ich bin ein Trottel (jaja, ich weiß ja, dass jetzt viele denken: „Erzähl mir was Neues“): Ich hatte gedacht, diese Picos hätten solche Proportionen wie Zahnstocher mit einer Oliven und einem Käsewürfel dran. Weit gefehlt. Jedes dieser Picos war ein kleines Kunstwerk auf einem halben Brötchen, mit Lachs umwickelter Frischkäse, Sardellen, Tortilla und andere Köstlichkeiten, während ich meine ebenfalls sehr guten Tapas und den sehr, sehr leckeren Lachs verspeiste. Zum Glück war unser Frühstück nicht ganz so üppig gewesen (trotz Büffet), sonst hätte die Schlagzeile der Bild morgen gelautet: „Deutsche Touristen in Madrid wegen guten Essens geplatzt! 5.000 € Sachschaden in Innenstadt-Kneipe! Bild schämt sich!“

Wir fuhren zurück mit der U-Bahn, liefen die Strecke zum Hotel zurück (selten war ein Verdauungsspaziergang so nötig und hilfreich), erschreckten uns zu Tode (s.o.) und fuhren dann mit dem Taxi zum Flughafen. Naja, Check-in und Ausreise und so lief alles gut, und unser Flug ging fast pünktlich weg und landete sogar überpünktlich.

Um 21.42 Uhr betrat ich erstmals senegalesischen Bode, kurz darauf standen wir in der Schlange zur Einreise. Nach vielleicht zwanzig Minuten waren wir dran, der Grenzer wollte Fingerabdrücke haben, die sollte er kriegen. Nach der Kontrolle, ob wir auch wirklich einen Einreisestempel hatten, schlugen wir uns zum Gepäckband (meine Ma) bzw. zum Geldautomaten (ich) durch. Ich war im dritten Anlauf erfolgreich, sie zur Hälfte, denn als ich kam, hatte sie erst einen Koffer erobert.

Erinnerungen an Algier und Astana wurden wach, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Iberia auf einem Direktflug (wir hatten ja heute Abend eingecheckt) unseren Koffer vergräbt. Nach einigen Minuten bangen Wartens sahen wir - dieses Mal das graue - Plastik des Glücks.

Nach einer chaotischen Schlange durch den Zoll (guckt da überhaupt einer auf das Display des Röntgengeräts) waren wir draußen und an der frischen Luft. Sehr, sehr schön. Weniger schön waren die ganzen Taxifahrer, die uns umlagerten und uns ins Taxi ziehen wollten. Ich hatte evaluiert, dass unser Hotel relativ nah war, deswegen gingen wir zu Fuß.

Naja, 300 Meter ohne Gepäck auf einem deutschen Bürgersteig sind etwas anderes als 300 Meter mit Gepäckstücken auf einem gelegentlich etwas unebenen senegalesischen Bürgersteig. Meine Ma schwitzte, ich schwitzte trotz der ganz akzeptablen Temperaturen, als wir endlich unser Hotel sahen.

Der Check-in funktionierte, aber das Restaurant war schon zu, sodass uns der - mit reichlich Trinkgeld ob des Koffer-die-Treppen-Hochschleppens belohnte - Boy anbot, uns Bier und Wasser in einem Shop zu kaufen.

Er ging und ward eine Dreiviertelstunde nicht mehr gesehen. Wir konnten uns gerade noch halb verdurstet zur Zimmertür schleppen und sie ihm öffnen, dann hatten wir unser Bier und unser Wasser.

Nunja, und jetzt haben meine Ma und ich mit importiertem "Royal Dutch"-Bier auf mein Bergfest angestoßen. Der Senegal ist mein 104. Land, nach meiner Zählung kommen jetzt noch 103. Und das hundertdrittletzte kommt morgen in Form von Gambia (ich muss schnell schreiben, damit "morgen" noch stimmt, denn es ist zehn vor zwölf hier ...).

Ich hatte mir das vielleicht etwas feierlicher vorgestellt, aber das holen wir sicherlich auf dieser Tour noch nach, dass wir mit gutem Essen und Blick aufs Meer und so'n Gedöns auf das Bergfest einen (oder mehr) trinken.

Jetzt gehen wir erstmal schlafen, morgen geht's - inschallah - irgendwie nach Gambia und dann hoffentlich so, dass wir morgen Nachmittag schonmal zum Schwimmen ins Meer können. Aber so wie ich die Tour bisher erlebt hatte, oh Gott, oh Gott ...

Over and out bis zum nächsten Post aus dem Gambia. Hoffentlich.

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