Meine Länder

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Sonntag, 1. Juli 2018

Am letzten Abend

... trank ich endlich einen Wodka. Naja, wenn's bei einem geblieben wäre ...

Eigentlich ging es mir gestern schon wieder deutlich besser, sodass ich mir sogar für 5 Uhr den Wecker stellte, um das Spiel der deutschen Rugby-Fünfzehn in Samoa zu verfolgen. Naja, das ging mit 15:66 gefühlt genauso verheerend aus wie das Spiel der deutschen Fußball-Elf ... Furchtbar.

Dann war ich aber auch wach, duschte und ging in Richtung Monorail-Haltestelle. Diesmal fuhr ich in die andere Richtung, weil ich ausprobieren wollte, wie ich so zum Roten Platz komme - grundsätzlich aber ist es nicht schwer, in Moskau zum Roten Platz zu kommen, weil fast alle Metrolinien irgendwo durch die Innenstadt fahren, und am Ende steigt man halt einmal um und steigt irgendwo in der Nähe des Roten Platzes aus - das passt ganz gut ...

Diesmal stieg ich also um, trug einer Polizistin noch ihre Baseballmütze hinterher, die sich im Luftstrom, der aus der U-Bahn kam, verloren hatte, wofür sie sich überschwänglich und lachend bedankte, und kam an der Teatralnaya raus. Ich wollte auf den Roten Platz, da eröffnete mir die Polizistin, dass ich dort kein Wasser mitnehmen dürfte. Leute, hakt's?

Liebe Russen, ich finde es sehr sympathisch, dass ihr die WM mit freundlicher Gemütlichkeit begleitet, ohne jetzt den übergroßen patriotischen Rummel daraus zu machen. Auch die meisten normalen Menschen, die einem begegnen, sind - wenn man auf Englisch oder auf Google ins Gespräch kommt - stark darauf aus, die Gastfreundschaft zu betonen - wirklich sehr schön!

Die Sicherheitsmaßnahmen hier sind aber nach meiner Ansicht völlig übertrieben, zum einen, weil sie nicht angemessen sind, und zum anderen, weil sie viel zu leicht umgangen werden können, was das ganze Überwachungsgedöns ad absurdum führt.

Drei Beispiele:

Beim Fan-Fest in Kasan (und wahrscheinlich war das gestern auf dem Roten Platz auch das Problem, weil dort auch ein kleines Fan-Fest ist) darf man keine gefüllten Getränkeflaschen mitnehmen und bekommt an den Getränkestände auch nur die Flaschen ohne Deckel. So weit, so gut, auf die Weise kann man die Dinger nicht zuschrauben und irgendjemandem an den Kopf werfen (leider gibt es beim Fußball solche Idioten). Nur wird beim Eingang zwar jede Tasche auf gefüllte Getränkeflaschen und jeder Kinderwagen vom Spürhund untersucht, aber eine leere Getränkeflasche oder auch nur einen Flaschendeckel kann man mit aufs Fan-Fest nehmen. Wenn ich aber eine leere Flasche oder einen Flaschendeckel mitnehmen kann, kann ich diese leere Flasche auch wieder füllen (und dem, der sie ans Hirn kriegt, dürfte es egal sein, ob da Cola oder Wasser aus dem Wasserhahn der Toilette drin ist) bzw. der Flasche mit abgeschraubtem Deckel den mitgebrachten Deckel wieder draufschrauben, voilà, Wurfgeschoss olé.

Der Rote Platz ist wunderbar umzäunt und an den Eingängen wird mit Kontrollsonden und Blicken in die Tasche und Anschaltenmüssen des Handys überprüft, ob du irgendwas Böses tun willst (und wehe, deinem Rechner ist der Saft ausgegangen, dann ist eh Schicht im Schacht). Nur, Freunde der Sonne, ihr habt halt nur eine Zaunreihe aufgebaut und es steht auch nicht alle paar Meter ein Polizist und passt auf, dass man da nichts rüberwirft oder -gibt. Nun kann man so blöd sein und das drei Meter neben der Schleuse versuchen, da wird man mit großer Wahrscheinlichkeit eingefangen, klar, aber unten an der Basiliuskathedrale ist ein Winkel, wo im Sicherheitsbereich viele anstehen und außen viele vorbeilaufen, da könnt ihr auch mit Überwachungskamera nicht zeitnah sicherstellen, dass da nichts reingeschmuggelt wird. Wenn ihr da schon Angst vor Anschlägen habt, müsst ihr doppelte Zaunreihen machen und ab und zu einen Polizisten hinstellen, der guckt, dass niemand was rüberwirft ...

Und, finalmente, normalerweise muss man sich in Russland anscheinend binnen sieben Tagen bei der Polizei registrieren lassen. Bei der WM haben die Russen das "verschärft" und für Fan-ID-Inhaber oder Übernachtungen in den Austragungsstädten oder wie auch immer die Frist auf drei Tage verkürzt. Normalerweise registrieren Hotels dich sowieso automatisch, meine beiden ersten Übernachtungsstätten haben mich aber - wahrscheinlich - nicht registriert (was auch Bullshit ist, denn entweder kann ich sie über eine Buchungsseite buchen, dann müssen sie aber auch die Aufgaben eines Hotels übernehmen, oder halt nicht), was bei meinem dritten Hostel in Moskau zu größerem Aufruhr geführt hat. Am Ende kam es aber, wie es immer kommt: Kein Mensch wollte jemals diese Registrierung sehen, schon gar nicht die Grenzerin bei der Ausreise.

Natürlich ist Sicherheit immer eine Abwägung zwischen Aufwand und Nutzen, natürlich kann ich Flugsicherheit am allerbesten gewährleisten, indem ich alle Passagiere nackt, gefesselt und geknebelt (sonst beißen sie noch ...) ins Fluzeug pferche, aber irgendwann (sehr schnell!) werden die Fluggäste dagegen rebellieren. Wirklich ärgerlich wird es dann, wenn ich großen Aufwand betreibe, aber gar nicht so großen Nutzen davon habe, weil man die Sicherheitsmaßnahmen entweder so leicht umgehen kann wie in den ersten beiden Beispielen oder es am Ende scheißegal (Entschuldigung) ist, ob man sich an die Regeln hält oder nicht.

Ich zitiere die Toten Hosen: "Das wollt' ich nur mal klarstell'n, damit wir uns richtig versteh'n, ich habe nichts gegen München, ich würde nur nie zu den Bayern ...", äh, lassen wir das.

Ich setzte mich dann in den Sightseeingbus und fuhr die große Runde mit Vorbeifahrt am Kaufhaus Europa und dem alten Hotel Ukraina, dem "Weißen Haus", dem russischen Regierungssitz, ehe ich am Arbat ausstieg. Es gibt den alten und den neuen Arbat, beides sind Einkaufs- und Fressmeilen, und ich finde den alten Arbat entschieden gemütlicher - dort setzte ich mich in ein sehr gemütliches russisches Restaurant (das ist wohl eine Kette, aber das war mir egal) und aß Borsch und Pelmeni, beides sehr lecker. Das Bier, das ich dort probierte, war nicht so ganz meins ...

Ich fuhr eine Station mit der U-Bahn und wollte jetzt endlich in den Kreml, aber sowohl die Schlange für die Karten als auch die Schlange an der Sicherheitskontrolle (und hier verstehe ich die sogar, schließlich ist der Kreml der Sitz des Präsidenten) waren gefühlt hundert Meter lang, sodass ich Kreml Kreml sein ließ und zum Fan-Fest in der Nähe der Lomonossow-Universität fahren wollte.

Mit mir fuhren Unmengen von Argentinien-, Brasilien-, Uruguay-, Portugal- und anderen Fans mit (halt vor allem von Mannschaften, die gestern noch im Turnier waren ... seufz), aber wir wurden bei der Ankunft an der Station "Universitet" rüde ausgebremst: Per Megaphon wurde durchgesagt, dass schlechtes Wetter erwartet werde und dass das Fan-Fest deswegen erstmal geschlossen bleibe.

Jetzt hatte ich genug von dem ganzen Mist und entschloss mich, in die Kneipe zu fahren, in die ich am ersten Abend wollte und die nicht sooo weit von meinem Hostel entfernt ist. Gesagt, getan, ich ging vorher noch kurz für nachher einkaufen (was sehr klug war) und war gerade in das Pub eingefallen, als es schon fürchterlich anging zu gewittern - Glück gehabt, würde ich sagen.

Ich hatte jetzt keine Lust mehr auf Experimente (höhö) und bestellte ein Guinness, und obwohl das ein englisches Pub sein wollte, gab es - und das ist jetzt nicht so weit vom Ostankino-Fernsehturm entfernt - keine englische Karte, was in diesen Tagen selten geworden ist in Moskau ... Mit Hilfe von Google erarbeitete ich mir die Speisekarte und entschied mich für eine Soljanka als Vorsuppe und ein Sheffield-Kaninchen (Wie, die Leser kennen das berühmte "Sheffield-Kaninchen" nichts? Das gibt's doch gar nicht!) ...

Ein zweites Guinness kam, ehe das erste leer war, und als die Soljanka aufgetischt wurde, meinte der sehr freundliche und geschäftstüchtige Barkeeper, dazu gehöre "traditionell" ein Wodka. Das Unheil nahm seinen Lauf, denn nach dem lud er mich zu noch mindestens einem weiteren ein, während ich meine sich anschließende Kaninchen-Pastete verspeiste (beides war übrigens lecker, die Soljanka wie das Kaninchen ...). Am Ende meinte er, ich müsste einen "traditionellen" russischen Cocktail trinken - Freund Nase, ich bezweifle, dass die Mischung aus Jägermeister und Becherovka traditionell russisch ist, aber zu dem Zeitpunkt war sowieso schon alles zu spät ...

Zwischen dem ersten und zweiten Achtelfinale bestellte ich mir ein Uber, verlor fast meine Mütze, bekam beim Aussteigen einen Anschiss vom Fahrer, weil das einer von den Leuten war, die meinen, man würde das Auto kaputtmachen, wenn man die Türe mit ein bisschen Schmackes zuschlägt, und schaffte es - noch meine Registrierung für dieses Hotel entgegennehmend - ins Bett. Heilige Maria, Mutter Gottes, was für ein Abend ...

Ich hatte dem Barkeeper schon angedroht, dass er schuld wäre, wenn ich heute Morgen den Flieger verpasse, aber ganz so schlimm war es dann doch nicht. Ähm, ich war eh die halbe Nacht wach, von daher könnte ich kaum verschlafen ...

Spezi (das heißt, wieder Cola und Fanta abwechselnd trinken und im Mund vermischen, herrlich ...) ist und bleibt einsame Spitze gegen jede Art von Katerchen, Kater oder ausgewachsenem russischem Tigerbullen (Das heißt gar nicht "Tigerbulle"? Grad egal ...), ganz besonders, wenn sie schön kalt ist ... Ein letztes Mal ging es mit Uber zum Flughafen, der Check-in ging fix, die Ausreise auch (die wollte nicht mal mehr die Fan-ID sehen ...) und dann saß ich schon am Gate ...

Der Flug von Moskau nach Belgrad war ereignislos, abgesehen davon, dass ich beim Schlafversuch immer nach rechts in den Gang abkippte und dann aufwachte, aber hey, schlafen kann ich noch lang genug, wenn ich tot bin ... Hier in Belgrad haben sie am Ankunftsgate gleich mal eine Passkontrolle gemacht, keine Ahnung, was die da für Migrationserfahrungen hinsichtlich Russland gemacht haben, aber jetzt sitze ich gemütlich in der Lounge und warte auf den Weiterflug um 17.30 Uhr, sodass ich noch den Anfang des dritten Achtelfinals werde gucken können.

Um 19.30 Uhr komme ich planmäßig in Frankfurt an, um 21 Uhr treffen wir uns im Sherry, und morgen um 7 Uhr geht der Flieger ja schon nach Budapest - kurze Stippvisite in der Heimat also ...

Zwei Dinge noch:

Das Bezahlen mit der Kreditkarte ist in Russland weit verbreitet. Das geht so weit, dass man seine Cola für 80 Cent im Supermarkt mit dem Auflegen der Karte aufs Gerät bezahlt, und das machen viele so ... Es ist noch nicht so, dass man schief angesehen wird, wenn mar bar bezahlt, aber das kommt bald ...

Und ganz viele Leute haben ihre Fan-ID auch außerhalb des Spieltags demonstrativ um den Hals gehabt. Ich glaube, gerade für viele Russen war das ein Statussymbol, dass sie genug Geld (oder Einfluss) haben, um ins Stadion zu kommen. Aber auch viele Ausländer hatten die jeden Tag umhängen, auch wenn man sie wirklich nur am Spieltag (und bei der Einreise) zwingend gebraucht hat ...

Fotos wollen gerade nicht so wie ich, die werden dann - morgen Abend oder so - aus Budapest nachgereicht ...

Denn morgen früh, 7 Uhr, geht ja schon mein Flieger nach Budapest. Welcher Volltrottel hat das denn so entschieden? Wie? Ich? Nein! Doch! Oooooh ...

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