Meine Länder

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Sonntag, 18. Oktober 2020

Im Hausanzug und ungeschminkt eine Staatsgrenze überquert

 ... hat meine Mutter auch noch nicht oft, glaube ich, aber heute Morgen war es nötig, weil wir uns so richtig gründlich missverstanden hatten: Ich hatte meiner Mutter gestern Abend einige Iterationen meines heutigen Planes dargelegt, und ich meinte, ich hätte klargemacht, dass ich - wenn ich denn wandern gehe - sie bitten würde, mich zum Zug in der Schweiz zu bringen und später wieder abzuholen. Nun hatte ich mich heute erst spät entschieden, wirklich zu laufen, doch als ich aus der Dusche kam, mich angezogen hatte und meine Mutter erwartungsfroh anschaute, dass wir jetzt gemeinsam das Haus verlassen, wusste sie nicht so recht, wie ihr geschah ... Und weil ich so getrödelt hatte, musste es jetzt schnell gehen ...

Wir starteten also durch, fuhren in Schleitheim über die Grenze, und meine Mutter brachte mich zum Beringerfeld hinter Beringen, weil ich hier - zurecht - einen Fahrkartenautomaten vermutete. So etwas Analoges mag ich ja eigentlich nicht gern in Händen haben, aber meinen Handyakkus traute ich nicht über den Weg, und daher wollte ich gerne - auch wenn ich natürlich eine digitale Fahrkarte hätte kaufen können - etwas in der Hand haben ...

Für 40 Franken kaufte ich mir eine Tageskarte für den Tarifverbund Ostwind, der von Schaffhausen bis nach Bad Ragaz in Graubünden reicht, und wartete erst einmal an dem Bahnhof, weil wir natürlich viel zu früh waren ... Der Bahnhof Beringerfeld wird von der Deutschen Bahn betrieben (was man an den DB-Zeichen auf den Bahnhofsuhren erkennen kann), liegt aber natürlich staatsrechtlich völlig unstrittig in der Schweiz und wird heute nur von SBB-Bahnen bedient (die Züge der DB-Hochrheinbahn fahren ohne Halt durch).

Nach wenigen Minuten Fahrt ("ah, hier fährt der Zug also" - ich war die Strecke noch nie gefahren) kam ich in Schaffhausen an und musste umsteigen. Damit ich im Ostwind-Gebiet blieb, fuhr ich mit der S-Bahn fast zwei Stunden von Schaffhausen über Stein am Rhein, Kreuzlingen und Romanshorn in den St. Gallener Vorort St. Fiden. Dort stieg ich in eine andere S-Bahn in Richtung Graubünden um, verließ diese allerdings schon in Rheineck. Dort musste ich in die S-Bahn Nr. 26 umsteigen, doch die entpuppte sich - nach meiner Recherche nun nicht völlig unerwartet - als eine kleine süße Zahnradbahn den Berg hoch nach Walzenhausen.

Fast wäre das Ding für mich allein gefahren, erst im letzten Moment kam ein Vater mit drei Töchtern und einem Hund auch noch hineingeplatzt. Und dann rattert und rumpelt und keucht das arme Wägelchen den Berg hoch bis zum Ziel im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Dort stieg ich aus und lief über großteils ebene Ortsstraßen durch meinen sechsten erwanderten Kanton (Mogelei wegen der Zahnradbahn? Nix da, denn die Verbindung wurde ja später hergestellt!), nach knapp zwei Kilometern ging ich ein Treppchen hinunter zum Kloster Grimmenstein - und war in meinem siebten Kanton.

Bei der Teilung des Kantons Appenzell in grauer Vorzeit wurde die Grenze entsprechend der Konfessionszugehörigkeit der Einwohner gezogen, und während Walzenhausen insgesamt wohl protestantisch war, war das Kloster katholisch und blieb daher - als Exklave - bei Appenzell Innerrhoden. Auch wenn ich nicht ins Kloster hineinging und auch Grenzsteine vergeblich suchte, befand ich mich unter dem Vordach des Eingangs zum Kloster, und das Gebiet des Vordachs gehört laut aller Karten, die das überhaupt als Enklave ausweisen, definitiv zum Kloster - Appenzell Innerrhoden: check!

Übrigens macht mich die Inkonsistenz der Autokennzeichen von Appenzell Inner- und Ausserrhoden total kirre: Ausserrhoden hat AR (man denkt "Ausserrhoden"), während Innerrhoden AI hat ("Appenzell Innerrhoden") - entweder müsste es AR/IR oder AA/AI sein, aber doch nicht AR/AI - das geht doch nicht, furchtbar!

Ich lief weiter (ich hatte Traumwetter erwischt), und der Wanderweg führte mich über eine Weide. Plötzlich muhte eine Wach-Kuh oberhalb von mir (und glücklicherweise durch einen Zaun getrennt von mir) das ganze Tal zusammen, weil da jemand über ihre Weide latschte - ich geh ja schon, du Rindvieh!

Kurz hinter der Weide ging es steil auf rutschigen Wegen bergab, ein E-Mountain-Biker und ein Grenzstein (aber Ausserrhoden/St. Gallen) begegneten mir, ich hatte - wie schon oben in Walzenhausen - sehr schöne Ausblicke auf den Bodensee und das Alpenrheintal.

Relativ plötzlich kam ich nach St. Margrethen rein, latschte zum Bahnhof, machte meine "Strecke-an- mein-Streckennetz-angebunden"-Geste und lief weiter in Richtung Industriegebiet/Alpenrhein ...

Der Weg da an der Hauptstrasse und der Autobahn entlang ist jetzt nicht so megaspektakulär, deswegen war ich froh, als ich in Au endlich über die Gleise und unter der Autobahn hindurchgehen konnte, denn so eröffnete sich mir der Alpenrhein ist seiner ganzen Schönheit. Auf dem Rheindamm stand ein Fotograf, aber wir störten uns nicht, denn ich ging in die andere Richtung.

Auf diesem Damm zu laufen, mit Blick auf den Rhein und auf Österreich, das ist richtig, richtig schön - mir begegnete auf den dreieinhalb Kilometern kein Mensch, und ich konnte mich so richtig meinen Gedanken(spielen) hingeben - herrlich!

Ich entschied mich, noch ein kurzes Stück durch Österreich durchzureisen, aber vor das Durchreisen hatten die Wanderplaner das Erreichen der Brücke über den Rhein gesetzt - dazu musste ich vom Damm runter (das war recht steil), über einen ausgetretenen Graspfad hoch zur Straße, dann über den Zoll (kein Mensch da) und schließlich über die Brücke.

Plötzlich tutete es, und es kam mir ein sehr altertümlicher Zug entgegen, der zudem die Hälfte der Brücke für sich beanspruchte - es handelt sich, wie ich eben gewikipediat habe, um die Dienstbahn der Internationalen Rheinregulierung, die heute als Museumsbahn eingesetzt wird. Sachen gibt's!

Ich bog unmittelbar nach Erreichen von festem österreichischem Boden auf den hinteren Rheindamm ab und verließ Österreich nach neun Minuten wieder - wenn das mal kein "Durchreisen" ist! Immer wieder toll und beeindruckend und wunderbar finde ich, wie selbstverständlich Österreicher und Schweizer, mindestens ein Deutscher und auch sonst Menschen aller Herren Länder, die Grenze zwischen zwei souveränen Staaten einfach so überschreiten können und dürfen - das ist einfach schön! (Grenzsteine gab es hier natürlich auch und wurden fotografiert ...)

Nun war ich also wieder in Diepoldsau in der Schweiz angekommen - Diepoldsau liegt auf einer "Insel" zwischen Rhein und Altem Rhein (wobei der Alte Rhein Diepoldsau nicht mehr komplett umschließt) und ist in diesem Bereich die einzige rechtsrheinische Schweizer Gemeinde ... Fast hätte ich die Buslinie, die ich erreichen wollte, schon eine Stunde früher erwischt, aber ich konnte ihr nur noch zuwinken ... Schade!

Die Zeit nutzte ich, um im Schiffli in Diepoldsau ein Bierli zu trinken, für fünf Fränkli und zehn Räppli (okay, ich höre jetzt auf) - zu dem Preis für ein großes Bier kann man fast nicht sagen. Nervig war aber, dass der Wirt eine Viertelstunde (und mindestens zwei Aufforderungen) brauchte, bis er mich abkassiert hatte - klar, die Busse, die alle Viertelstunde zum Bahnhof in Heerbrugg fuhren, hätten mir wahrscheinlich eh nicht viel gebracht, aber irgendwann mochte ich nicht mehr warten ... Naja, er bekam ein bescheidenes Trinkgeld, und ich erwischte den Bus, in dem ich vom Busfahrer persönlich per Ruf in den Bus begrüßt wurde - überhaupt begrüßen und verabschieden die Busfahrer in der Schweiz die Fahrgäste sehr, sehr freundlich (das habe ich in Diepoldsau und dann später im Bus von Schaffhausen nach Schleitheim gemerkt).

Ich fuhr - in der Dämmerung fast einschlafend - von Heerbrugg nach St. Gallen und weiter nach Schaffhausen, stieg dort nach ein bisschen Suchen in den Bus in Richtung Schleitheim/Beggingen und war ab Siblingen der einzige Fahrgast im Bus - lustig ... Meine Mutter wartete in Schleitheim am vereinbarten Ort, und auf direktem Weg ging es nach Hause und unter die Dusche. Jetzt gucke ich noch ein bisschen Football, und dann werde ich heute Nacht hoffentlich gut schlafen ...

Das war eine schöne Wanderung, erst ein bisschen bergig, um aus Walzenhausen wieder hinunter an den Rhein zu kommen, dann sehr entspannt am Alpenrhein entlang - auch wenn mir vor lauter "Entspanntheit" die Oberschenkel ein bisschen wehtun. Das waren knapp 38 Kilometer in der Summe von Freitag, gestern und heute - das war ordentlich.

Nach Liechtenstein sind es jetzt noch knapp 20 Kilometer, ich überlege, ob ich die nächstes Wochenende (wenn das Wetter mitspielt) an einem Tag abreißen will - danach ist mit Liechtenstein aber dann Schluss, das mache ich dann mal später, weil die Fahrten jetzt doch recht lang werden. Bevor ich die Langstrecke II (Liechtenstein-Splügenpass) angehe, größenwahnsinnig wie ich bin (und die Tour geht im Winter sowieso nicht, weil der Splügenpass gesperrt ist), gucke ich mal, wie weit ich von Waldshut in Richtung Basel am Hochrhein entlang komme - das ist doch bestimmt auch eine schöne Strecke. Aber dazu muss das Wetter mitspielen, und natürlich wäre es für die Wanderzwecke sinnvoll, wenn ich noch ein Weilchen im Schwarzwald wäre.

In Coronazeiten denke ich wieder von Woche zu Woche, also mal gucken, was das wird ...

DB-Uhr auf Bahnhof in der Schweiz

Die S 26 von Rheineck nach Walzenhausen

Blick auf den Bodensee

Kloster Grimmenstein (Appenzell Innerrhoden)

Unterwegs in Appenzell Ausserrhoden

Auf dem Rheindamm in der Schweiz

Rhein als Grenzfluss

Rheindamm in Österreich

Grenzstein auf dem Rheindamm

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