Die Zugfahrten auf dieser Olympia-Reise standen unter keinem guten Stern; es hätte alles so einfach sein können, bis Mannheim war es das auch (abgesehen davon, dass ich das Hockey-Finale aufgrund des absolut beschissenen WLANs der Deutschen Bahn und der absolut beschissenen Netzqualität in Deutschland nur mit einem Stream schauen konnte, der nach drei Sekunden für dreißig Sekunden oder mehr neu bufferte), ach, was sag ich, bis kurz vor Bonn klappte alles recht gut. Ja, der Zug hatte schon ein bisschen Verspätung aufgeladen, aber das ist ja Standard für die Bahn.
Kurz vor Bonn verbesserte (?!) die Bahn aber erneut ihren haushohen Rekord im Vogelabschießen. Erst sagte die Zugchefin, die sich wahnsinnig lustig vorkam, durch, dass die Baustelle am Bonner Hauptbahnhof "überraschend" gekommen sei und man daher in Bonn-Beuel halten würde. Soweit, so schlecht, aber machbar ... Das viel größere Problem war, dass wir kurz vor der nordrhein-westfälischen Grenze stehenbleiben mussten, weil der sog. Fahrplan fehlte, also die Genehmigung für den Zug, über Bonn-Beuel anstatt über den Hauptbahnhof zu fahren. Wir standen geschlagene eineinhalb Stunden auf dem Fleck, bis dieses bekloppte Dokument vorlag und wird weiterfahren konnten. Unfassbar, selbst für einen leidgeprüften Bahnfahrer, unfassbar ... Am Ende kam ich statt gegen Mitternacht um 2.30 Uhr in Duisburg an. Die Kappe Schlaf, die ich mir holen wollte, würde kleiner ausfallen, ich dachte noch, dass ich da ja fast nach Hannover hätte fahren können, da hätte ich nicht viel weniger geschlafen. Nun denn, ich checkte einigermaßen zügig beim Nachtportier ein, verrichtete die notwendigsten Dinge im Bad und versuchte dann weniger erfolgreich, schnell einzuschlafen.
Der Wecker rappelte um 7 Uhr, ich kam von ganz weit her, war aber wach, ging mich in der sehr akzeptablen Dusche in einem sehr akzeptablen Zimmer frischmachen und checkte aus, nicht ohne den Großteil meines Gepäcks im Hotel abzugeben, nachdem ich ausdrücklich gesagt hatte, dass ich die Sachen erst heute Morgen abholen würde. Das war alles kein Problem, also machte ich mich auf nach Köln, um dort meinen ICE International nach Brüssel zu erwischen.
Das klappte pünktlich (!), war aber kein großes Wunder, denn mein Beförderer hieß nicht Deutsche Bahn, sondern National Express, großes Lob!
Es stellte sich heraus, dass ich alles richtig gemacht hatte, denn mein Zug, den ich in Hannover nehmen wollte (und der innerhalb von drei Stunden einzige) hatte dermaßen Verspätung, dass ich meinen Anschluss in Köln verpasst hätte. So wanderte ich gemütlich von meinem National Express zum ICE, bestieg denselben - und wir fuhren pünktlich ab!!!
Ich wollte der Bahn schon fast zu dieser Meisterleistung gratulieren, als wir geschätzt 300 Meter hinter dem Kölner Hauptbahnhof erstmal zehn Minuten standen - die Verspätung wurde bis Brüssel noch ausgebaut, Bahn eben ...
Der Zug war nicht so gerammelt voll, sodass ich nach zweimaligem Umziehen wieder auf meinem Platz, aber diesmal ohne Nebenfrau, zum Sitzen kam. Die Fahrt war ganz entspannt, und in Brüssel fand ich das TGV-Gleis problemlos. Dort ging die Chose aber los, denn die falschen Wagenstandsanzeigen hat die Deutsche Bahn durchaus nicht exklusiv. Der TGV fuhr in umgekehrter Wagenreihenfolge, was zu ziemlichem Kuddelmuddel am Bahnsteig führte.
Am Ende hatte ich meinen Sitz, gab den bis Lille nicht wieder her, in Lille stieg der halbe Zug aus (mindestens), und ich entschied mich, vom Bahnhof Lille Europe zum Bahnhof Lille Flanders zu wandern. Von dort fuhr ich mit der Metro (ich hatte eine Chipkarte mit zwei Fahrkarten erworben) in Richtung Stadion.
Den fünfzehnminütigen Fußweg überstand ich gut, es gab Essen und Trinken und Straßenkünstler und Fanbemalungen, und direkt am Stadion gab es eine ganze Fress- und Saufgass mit ganz unterschiedlichem Bier- und Snackangebot. Ja, das Bier kostete 8 Euro (der halbe Liter), aber es gab nicht nur laffes französisches "Pils", sondern auch durchaus etliche Craft Beers, mein zweites Bier war ein Kirschbier, das sehr lecker, aber mit 7,5 % auch sehr alkoholhaltig war, sodass ich nach dem Genuss (wirklich!) einer riesigen (wirklich!) und leckeren (!) Portion Pommes für gerade einmal fünf Euro dann in Richtung Stadion ging.
An der Sicherheitskontrolle wurde mir mein Deo abgenommen, weil ja alle Woche mindestens zwei Vorfälle in den Medien sind, dass böse Attentäter mit Deo und Feuerzeug ganze Stadionblocks abfackeln. Die Franzosen waren bisher so entspannt bei Olympia, das war jetzt sehr schade, dass dieser sehr positive Eindruck ein bisschen geschmälert wurde - und für meine Reisegenossen versprach das auch unangenehm zu werden (Spoiler: Ich kaufte mir dann nach dem Spiel in Lille noch ein Deo, alles bestens ...).
Ein bisschen geladen ging ich ins Stadion (das ist ja wirklich das Fußballstadion in Lille, sodass ich nicht von "Halle" schreiben will), aber als ich meinen Platz sah, war ich fast noch angespannter: Ich saß dem Zeitnehmer fast auf dem Schoß und direkt hinter dem Technischen Kommissar (oder wie der heißt, der stand mir bei manchem Anwurf in der Sicht) - ein grandioser Platz, ein Sprung, und ich wäre auf der Platte gewesen (und dann von den Ordner umgetacklet worden ...), obwohl ich mit einem Platz etwas höher gerechnet hatte ...
Vor dem Spiel kam der offizielle Zeugwart und jemand fragte ihn, ob er ein Foto mit dem Spielball machen dürfte. Durfte er, und die Gelegenheit ließ selbst ich mir nicht entgehen - da gibt es nun also Bildmaterial eines Honigkuchenpferdes mit offiziellem Halbfinal-Ball - juchhe!
Als die deutschen Spieler ins Stadion kamen, wurden sie erst einmal ausgepfiffen (wegen des deutschen Sieges gegen Frankreich im Viertelfinale), und ich dachte, das könne ja heiter werden (ich fand das aber auch total geil, und die Spieler vermutlich auch, mit der Aussicht, gegen die ganze Halle zu spielen). Am Ende waren die Franzosen aber vor allem an einem guten Spiel interessiert, und das lieferten die beiden Mannschaften.
Ich saß in einem kleinen deutschen Block, zwischen einem Franzosen mit Gesamtgesichtsbemalung in deutschen Farben (sein Vater war entsprechend Spanien zugetan) und einem Deutschen, der die letzten zwei Wochen in Paris verbracht und sich angeguckt hat, was ging ...
Ja, Freunde, es war grandios, es wurde geklatscht, es wurde gejubelt, es wurde gepfiffen und gebuht (ich buhte gerade einen spanischen Angriff aus, als sich eine Französin schräg vor mich umdrehte, mich angrinste, ich grinste zurück, und danach guckten wir uns immer wieder mal belustigt an ...) - und beim dem Wembley-Tor in Lille wurde meinerseits dem Schiedsrichterpaar vor uns (keine fünf Meter entfernt) mit fester Stimme zugerufen, dass das ein "obvious goal", ein offensichtliches Tor war. Konnte ich natürlich überhaupt nicht sehen, aber versuchen kann man es ja mal ... (Und "Je ne regrette rien" wurde natürlich auch wieder gesungen - nach dem zwei Bier sang ich sogar die französischen Untertitel mit - ich glaube, zur Belustigung der Franzosen um mich herum ...)
Leute, so'n Handballspiel, gerade eines, das knapp ist und in dem es um was geht, das ist nix für mich alten Mann. Ich war nach dem Sieg, der irgendwie ein bisschen antiklimaktisch kam (es wurde nicht einmal "Finale, oho" angestimmt, weil es zunächst zu knapp war und danach alle fertig waren ...), weil die Spanier den Ball nicht ins Spiel kriegten in den letzten Sekunden, völlig ausgelaugt - Andreas Wolff wurde natürlich lautstark bejubelt (mehrere Kollegen schrieben mir "Jawolff" ...), und dann wurden wir relativ zügig aus der Halle gekehrt, klar, das zweite Halbfinale stand an ...
Völlig erschöpft lief ich zurück zur U-Bahn-Station, meine zweite Fahrt wurde aus unerfindlichen Gründen nicht erkannt, aber da das Englisch des Kontrolleurs nicht so gut war, sagte er zügig, "c'est bon", und ich durfte durch - keine Ahnung, was da los war, denn ich hatte tatsächlich zwei Karten gekauft und war nur einmal durch die Kontrolle durchgelaufen ...
Es ging zurück nach Lille Flandres, von dort lief ich wieder zum Bahnhof Lille Europe, kaufte noch Cola und Deo ein und setzte mich dann in den Wartebereich (mit Strom, denn das war gestern meine Hauptsorge, dass mir irgendwann der Strom ausgeht für mein Handy, auf dem alle Fahrkarten draufwaren).
Der Zug aus Straßburg kam pünktlich, wir stiegen alle ein (Wagenstandsanzeige wieder Mist), aber dann ging eine geschlagene Stunde ... nix voran. Auf Französisch wurde ein Grund erläutert (wahrscheinlich fehlte auch hier der Fahrplan ...), aber das verstand ich nicht wirklich, und mit einer Dreiviertelstunde Verspätung fuhr der TGV los.
Mein Umstieg in Brüssel würde jetzt seeehr knapp werden, also rannte ich denen nach Amsterdam hinterher, spurtete die Rolltreppe hoch ... und sah meinen Zug nach Lüttich noch abfahren - der hatte nämlich nicht gewartet, im Gegensatz zum (früheren) Zug nach Amsterdam. So ein Mist!
Das Problem war nicht, nach Lüttich zu kommen, das Problem war, von dort nach Herzogenrath in Deutschland zu kommen, um von da über Duisburg in Richtung Hannover aufzubrechen.
Der Typ von der belgischen Eisenbahngesellschaft war maximal unhilfreich, meinte, dass die Verspätung des TGV nicht ihr Problem sein (war es natürlich doch, weil ich die Fahrkarte durchgehend bei der SNCB gebucht hatte) und dass ich mich an die Kollegen in Lüttich wenden solle, wenn ich dort mit dem Zug eine Stunde später ankäme.
Ich fluchte hörbar, weil ich schon - richtig - vermutete, dass ich in Lüttich niemanden mehr antreffen würde, aber ich überlegte mir auf der Fahrt (natürlich kommt genau dann kein Schaffner, wenn man einen braucht) einen Plan A und dann einen Plan B: Plan A war, bis Welkenraedt, der Endstation des Zuges nach Lüttich, durchzufahren und dann ein Taxi nach Aachen zu nehmen. Plan B war so ähnlich, nur fiel mir ein, dass es im Aachener Verkehrsverbund ja Nachtbusse nach Kelmis, keine zehn Kilometer von Welkenraedt entfernt, gab, die ich mit dem Deutschlandticket bzw. der Bahncard 100 nutzen konnte.
In Lüttich kaufte ich mir noch ein Ticket bis nach Welkenraedt (normalerweise wäre ich von Lüttich über Maastricht nach Herzogenrath gefahren, andere Strecke also) und versuchte dann, dort ein Taxi zu kriegen. Das erste Unternehmen ging ran und legte gleich wieder auf, das zweite hatte eine Tonbandansage, ich versuchte Geld abzuheben, aber die Geldautomaten sind in nachts verschlossenen Vorräumen (völlig beknackt, aber wahrscheinlich haben die niederländischen Geldautomatensprenger in Belgien auch ihr Unwesen betrieben), der erste Taxifahrer, der nochmal dran ging, wollte Bargeld und 20 Euro würden nicht reichen, aber ich vermute, dass er auch dann eine Ausrede gefunden hätte, wenn ich 50 Euro dabeigehabt hätte ...
Nun stand ich da in Welkenraedt, sieben Kilometer von der rettenden Nachtbushaltestelle entfernt - den Nachtbus um 2.03 Uhr würde ich nicht kriegen, aber wenn ich zügig wandern würde, bekäme ich den um 3.03 Uhr womöglich noch. Also, auf, auf, Kameraden, ich lief des Nachts durch (kleine) Wälder und an Feldern vorbei, Taschenlampe am Handy im Anschlag, Google Maps auf dem anderen Handy (das Datennetz in Belgien ist übrigens noch beschissener als in Deutschland, furchtbar - und sorry für das sehr deutliche Deutsch heute ...). Unterwegs grunzte und quietschte es im Busch, ich habe eben mit meiner Ma eruiert, dass das eine Bache (eine Wildsau, Biologie 1, weißte Bescheid!) mit Frischlingen gewesen sein könnte, da hatte ich womöglich Glück, dass das Vieh nicht auf mich losging - ich nahm Reißaus und lief noch ein bisschen schneller. Ich rechnete hoch, meinte, es müsse reichen, und als ich um zwölf vor drei auf die Hauptstraße einbog, wurde ich sicherer, dass ich den Bus erwische. Tatsächlich stand ich fast zehn Minuten vor Abfahrt an der Bushaltestelle, der Bus kam pünktlich, wir überfuhren die belgisch-deutsche Grenze und ich sah, dass es, wenn ich am Alten Posthof ausstiege und sehr zügig zum Hauptbahnhof laufen würde, vielleicht noch die S-Bahn erwische würde, mit deren Hilfe ich insgesamt eine knappe Stunde früher in Hannover sein würde.
Es war ein wahrer Hindernisparcours, eine steile Treppe hoch, aber ich war eine Minute vor Abfahrt der S-Bahn (geschwitzt hatte ich auf der Wanderung schon, da war das zusätzliche Schwitzen vom schnellen Aachener Stadtlauf auch wurscht) und glücklich. Ein ziemlich zerstörter Betrunkener, der sein Handy verloren hatte, wurde von den Ticketkontrolleuren aufgeschrieben, direkt mir gegenüber, ich stieg in Köln-Deutz um (unglaublich, was da um halb fünf am Samstag schon los ist!) und landete ziemlich pünktlich in Duisburg.
Beim Nachtportier, bei dem ich am frühen Freitagmorgen eingecheckt hatte, holte ich mein Gepäck ab, begab mich wieder zum Hauptbahnhof und stieg in den leeren ICE nach Berlin ein. Ich pennte unterwegs mal ein, wurde vom Schaffner zwecks Fahrkartenkontrolle geweckt, blieb dann wach, fuhr mit der Stadtbahn in meine Bude und ging nach Zähneputzen (es war so eklig) ungeduscht (auch eklig, aber wurscht) ins Bett.
Ich schlief eineinhalb Stunden, dann ging ich duschen und bin jetzt auf dem Weg nach Wiesbaden, um mich mit zwei Ex-Kolleginnen beim Weinfest zu treffen - da freue ich mich schon richtig drauf.
Das war ein chaotisches Wochenende, aber ein sportlich sehr erfolgreiches (sowohl für die deutsche Handballnationalmannschaft als auch für mich, mit acht Kilometern Speed-Wandern), es hat ganz großen Spaß gemacht in Lille, die Deutsche Bahn ist Mist, aber die anderen Eisenbahnen sind es auch, ich habe es überlebt, und heute Abend komme ich hoffentlich noch gut nach Hannover, auch wenn die vorläufige Reiseplanung schon wieder verspricht, interessant zu werden (mit Aussteigen an der Messe und Straßenbahnfahrt in die Stadt ...).
Ich freue mich sehr auf einen Gammelsonntag morgen, ich werde mir den Wecker auf 13 Uhr für das Handballfinale stellen und den Sonntag im Schlafanzug bleiben, glaube ich ...
Fotos so durcheinander wie ich:
Zeitnehmertisch (davor potenzieller Tackle-Ordner) |
Alfreð nervös |
Finale, oho! |
Umsteigen in Köln bei der Anreise |
Hymnen |
Game on |
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