Ich hatte ja nicht so richtig gewusst, was ich in den fünf Stunden in Berlin mitten in der Nacht mit mir anfangen soll, also machte ich das, was ich normalerweise sowieso mache: Ich suchte ein bisschen im Internet herum. Ich war relativ schnell bei der East Side Gallery, aber dafür bräuchte ich keine fünf Stunden, also guckte ich weiter ... Ich landete - wie sollte es anders sein? - beim Essen und bei Kneipen, die rund um die Uhr oder zumindest bis spät in die Nacht Essen anboten.
Eine dieser Kneipen, das El Borriquito in Charlottenburg, sprach mich an - und die sollten bis 3 Uhr geöffnet haben unter der Woche - und sogar bis 5 Uhr am Wochenende! Es erwies sich als günstig, schon in Spandau in die S-Bahn umzusteigen, das tat ich, und so landete ich um halb eins am Savignyplatz, nachdem ich mit der S-Bahn, die in Richtung Flughafen fuhr, am Olympiastadion vorbeigekommen war.
Siehe da, es war tatsächlich noch offen, meine späte Ankunft führte zu keinem Aufruhr, im Gegenteil, ich konnte bestellen, was ich wollte (der Pulpo mit Venusmuscheln hatte mir schon im Zug zugesagt, dazu gab es kanarische Kartoffeln und eine Karaffe Weißwein ...), ich saß ein bisschen abseits der Musik, was dann aber dazu führte, dass der italienischsprachige Kellner sich ein bisschen mehr um mich kümmerte ... Ich fand das da richtig gemütlich, und ich habe dem Ober auch schon angekündigt, dass ich wiederkomme, denn die Portionen sind - auch für den aufgerufenen, nicht besonders günstigen, aber keinesfalls besonders teuren Preis - sehr üppig, sodass ich am Schluss wirklich kämpfen musste, die letzten Oktopusstücke zu verschlingen. Okay, die Tomatensauce hätte meiner Mutter offenkundig nicht so zugesagt, aber man kann nicht alles haben. Also, auch wenn ich normalerweise erst zweimal irgendwo essen will, um das Etablissement in meine Empfehlungen aufzunehmen: Das Borriquito wird einen zweiten Besuch erleben und dann, wenn sie nicht alles falsch machen, auch in meinen Empfehlungen landen (die muss ich ohnehin mal überarbeiten).
Um 2.40 Uhr verließ ich dann das Borriquito (und wurde also nicht herausgekehrt), lief zurück zur S-Bahn-Haltestelle Savignyplatz und fuhr zur Warschauer Straße. Es fasziniert mich immer wieder, was in Berlin mitten in der Nacht los ist, auch da war noch - naja, nicht High Life, aber doch viel los. Der eine oder andere Penner ist dort, aber im REWE hätte ich um drei Uhr etwas einkaufen können, als ich in Richtung Spree lief, kam mir ein schon sichtbar schwankender Mensch entgegen - "grüß dich!" - und kurz darauf ein Mann von der Verkehrsgesellschaft (nicht schwankend!). Ein weiterer Typ sprach mich schon aus zwanzig Metern an, ob ich ihm einen oder zwei Euro geben könne, und als verneinte, wurde er ganz melodramatisch (blieb aber harmlos) und kündigte an, schon bald seiner Existenz ein Ende zu bereiten ... Ja, sischer!
Dann war ich aber an der East Side Gallery, einem Stück der Berliner Mauer, und war erst einmal verwirrt. "Erzähl mir was Neues", sagt der Leser (oder die Leserin), aber hier hatte ich Grund verwirrt zu sein, denn ich befand mich in Ost-Berlin und also auf der Ostseite der Berliner Mauer. Die Ostseite war nun aber nicht für ihre Mauermalereien bekannt, weil da ja die Selbstschussanlagen und Hundelaufbahnen waren. (Und für das Bemalen der Westseite der Mauer musste man sich übrigens - da fände ich ja heute wahnsinnig spannend - illegal auf das Gebiet der DDR bewegen, denn die Mauer stand nicht genau auf der Sektorengrenze, sondern ein paar Meter dahinter, sodass es überall ein kleines Stückchen unbewachte DDR - bzw. unbewachtes Ost-Berlin - gab, auf das man vom Westen her draufspazieren konnte.)
Des Rätsels Lösung ist, dass diese Malerien erst 1990, von der letzten DDR-Regierung, organisiert wurden. Zudem sind die Malereien, die man heute auf der East Side Gallery sieht, Kopien der Originale, denn 2008/09 wurden die Mauerreste saniert, wobei man wohl die Kunstwerke zerstören musste. Man lud die Künstler dann ein, sie neu zu schaffen, was die meisten (aber nicht alle) tatsächlich gemacht haben, und so kann man neben - Entschuldigung - unglaublich viel Kitsch eben auch dieses berühmte Bruderkuss-Graffito von Breschnew und Honecker sehen, das ich weiter unten verewigt habe.
Die Wege in Berlin sind so kurz nicht, und so war ich froh, dass ich kurz vor 4 Uhr am Ostbahnhof landete. Ich entschied mich, mit dem nächstbesten Zug zum Hauptbahnhof zu fahren, und der nächstbeste Zug war ein ICE. In den stieg ich also ein, stellte fest, dass ich noch ausreichend Zeit habe, fuhr dann doch bis Spandau weiter, stieg dort in eine Regionalbahn zum Hauptbahnhof (schön, was für bekloppte Sachen man mit der Bahncard 100 machen kann ...) und vertrödelte dann die Zeit bis zur Abfahrt meines Eurocity.
Ich hatte mich ja entschieden, nicht den 2.40-Uhr-Zug ab Hannover zu nehmen, sondern einen früheren, und das war eine gute Entscheidung, denn der Zug musste unterwegs repariert werden und kam eine Minute vor Abfahrt meines Eurocity an. Wir warteten auf die Gäste aus dem ICE, und es hätte also für mich gereicht, aber ich hätte unterwegs einen Herzkasper gekriegt, weil die nächste Verbindung nach Kattowitz dann erst eine Ankunft um 17 Uhr bedeutet hätte, und das wäre mir arg eng geworden.
So kamen wir mit ein bisschen Verspätung los, die deutschen Zugbegleiter bestanden noch immer auf der Maskenpflicht und weckten sogar den Polen mir gegenüber, aber ab der Oderbrücke war die Maskenpflicht aufgehoben. Der Zug war ganz schön voll, da waren auch ein paar laute Deutsche unterwegs, die mit einem Kasten Bier ankamen - ich habe den Verdacht, die wollen auch zum Spiel heute, aber alles in allem war das eine entspannte Fahrt.
Wir kamen mit wenigen Minuten Verspätung in Posen an, ich fand mein Gleis schnell, aber keinen Wagenstandsanzeiger und musste dann, als der Zug einfuhr, ein bisschen schnelleren Schrittes laufen, denn mein Wagen (in Polen besteht in den ECs und ICs Reservierungspflicht) war ganz an der Spitze des Zuges. Die Digitalisierung in Polen verläuft auch nicht in ganz geordneten Bahnen, denn während gefühlt mehr Polen als Deutsche mit Online-Tickets reisen und diese von den Schaffnern auch ganz selbstverständlich abgescannt werden, ist das WLAN in den Zügen eine einzige Katastrophe - dagegen ist das WLAN bei der Deutschen Bahn richtig stabil, unglaublich schnell und insgesamt großartig, und das will was heißen, dass man etwas noch viel schlechter als die Deutsche Bahn macht!
Nun aber sitze ich, da ich diese Zeilen schreibe, im Zug nach Kattowitz, wir kommen bald in Gleiwitz an, und von da ist es noch einmal eine halbe Stunde Fahrt. Wir haben ein kleines bisschen Verspätung, aber das ist überhaupt nicht schlimm, denn ich gucke - mangels WLAN - aus dem Fenster und bewundere die südpolnischen Wälder und das vergleichsweise flache Land hier in Oberschlesien.
Ich werde, unvernünftig, wie ich nun einmal bin, gleich in eine Kneipe einfallen und ein bisschen zu Mittag essen, vielleicht auch ein Bierchen trinken, denn ich kann erst um 14 Uhr ins - per Handy-Schlüssel zu öffnende - Zimmer, und wenn ich um 13.10 Uhr oder so ankomme, muss ich ja fast eine Stunde überbrücken. Mal sehen, ob ich dann noch mal duschen gehe, denn ich habe bei meinen untauglichen Schlafversuchen eben im Zug von Posen nach Kattowitz ein bisschen geschwitzt, aber so gegen 17 Uhr will ich in der Halle sein. Und dann hoffen wir mal, dass Deutschland einen guten Start in die WM hat.
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Joa, ich fand ziemlich schnell die Gaststätte, aber draußen stand kein Schild, dass die Karte nehmen, also ging ich zu einem Geldautomaten, der mich nicht übers Ohr haute und hob (viel zu viel) Geld ab ... Damit ging in die Gaststätte, bekam in der wunderschönen Lokalität einen Platz nahe bei zwei anderen deutschen Handball-Anhängern und futterte mich durch die Karte. Aus dem ursprünglichen geplanten (vielleicht) ein Bier wurden, öhm, ein paar mehr, natürlich hätte ich mit Karte zahlen können, zahlte aber doch ausnahmsweise bar und ging dann in Richtung meiner Unterkunft.
Ich musste ein bisschen suchen, weil mir das jetzt zum zweiten Mal in Polen so geht, dass ich ein Apartment in einem Wohnkomplex habe, aber nachdem ich das gefunden hatte (und mit dem Handy über eine App die Türen geöffnet hatte), hatte ich ein wunderbares, gutes Zimmer mit allem, was man braucht. Ich hielt mich aber nicht lange auf, sondern ging - ich hatte mit den beiden Herren ein bisschen die Zeit vergessen - schnurstracks zur Halle (die wie ein UFO aussieht).
Ich war allerdings zu früh, die Halle öffnete erst eine Stunde vor Spielbeginn, sodass ich mir die Unzahl an ZDF-LKWs anschaute, die da in einem eingezäunten Bereich standen - Wahnsinn!
Um kurz vor fünf ging die Halle auf, einer kurzen Leibesvisitation folgte das Scannen der Karte, dann war ich im Spodek drin und fand recht schnell meinen Platz. Ein Bier gönnte ich mir noch, dann nahm das für meinen Geschmack viel zu spannende Spiel seinen Lauf. Dass Deutschland gewonnen hat, aber zwischenzeitlich mal ein bisschen ins Schwimmen geriet, hat jeder gesehen, aber die Stimmung in der Halle (3.500 Zuschauer, davon bestimmt 2.500 Deutsche) war schon ein Erlebnis ... Das war ja mein erstes Handballspiel mit einer deutschen Mannschaft, das kann man öfter machen, zumal es in Hannover ja eine Bundesliga-Mannschaft gibt.
Auch das zweite Spiel, Serbien - Algerien, schaute ich mir an, verzog mich in der Halbzeit aber auf den Oberrang, da war es luftiger als unten im Kessel, wo doch noch viele Leute auch das zweite Spiel schauten. Ich wurde jetzt auch echt müde, verzog mich mit dem Schlusspfiff und freue mich jetzt sooooo auf die Horizontale.
Morgen geht es zu akzeptabler Zeit zurück nach Berlin und dann zu Freunden nach Halle, das wird auch gut.
Fotos gibt es auch:
Bruderkuss East Side Gallery |
Rynek in Kattowitz |
UFO-Sporthalle |
Zett-De-Eff |
In der Halle |
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