Meine Länder

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Montag, 11. April 2011

IStGH in Oranje

Auch wenn der Besuch in den Niederlanden mich dem 206. Land nicht näherbringt, war er hochinteressant.

Nach dem Start um 12 Uhr in Jena fuhren wir über Kassel, das Ruhrgebiet und Venlo nach Nimwegen, wo wir gegen 20 Uhr eintrafen. Da wir nach der langen Fahrt Durst hatten, gingen wir in eine Kneipe in der Nähe der Wohnung unseres Schulfreundes und tranken ein Bier. Es handelte sich um ein Brand aus Maastricht, also ein niederländisches Bier, das süffig, sogar ein klein wenig süß und in jedem Fall durchaus trinkbar war. Als unser Schulfreund dann kam, wechselten wir die Kneipe und versackten leider ganz schön arg.

Um zwei Uhr gingen wir ins Bett, um sieben Uhr ging es wieder weiter, da wir um 9.30 Uhr zur Verhandlung beim Internationalen Strafgerichtshof sein wollten. Nach guter Fahrt im gar nicht so schlimmen niederländischen Berufsverkehr kamen wir gegen 8.45 Uhr an einem Park-and-Rail-Parkplatz an und begaben uns von dort in Straßenbahn (der Fahrer wollte kein Geld von uns haben ...) und zu Fuß in Richtung des Reguluswegs in Den Haag. Zunächst erwischten wir den falschen, weil Personaleingang und wurden um das Gebäude herumgeschickt, wo man uns schließlich Einlass gewährte. Die Sicherheitskontrolle war normal, aber niemand wollte - wie angekündigt worden war - unsere Ausweise oder sonst etwas sehen. Überhaupt waren die IStGH-Leute sehr entspannt und das Gebäude sehr übersichtlich. Im Foyer gibt es neben einer Information und Schließfächern auch einen Getränkeautomaten, mit dem Aufzug geht es in die Zuschauergallerien der Gerichtssäle, die übereinander liegen.

Wir erwischten zunächst die Verhandlung gegen Germain Katanga and Mathieu Ngudjolo Chui, zwei Kongolesen, die sich etlicher Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben sollen. Die Zuschauergallerie ist schalldicht vom Gerichtssal getrennt, sodass man das Geschehen im Gerichtssaal akustisch über Kopfhörer (englisch/französisch) und ein drahtloses Empfangsgerät, in das man die Kopfhörer einstöpselt, verfolgen muss, alles in allem sehr praktisch. Ein Zeuge der Verteidigung befand sich gerade im Kreuzverhör durch den Ankläger. Obwohl es um Details ging (es wurde mehrfach durchgekaut, wieviele Tage vor dem Angriff auf die Stadt der Zeuge den Angeklagten im Hauses eines Pfarrers getroffen habe, ob er mit ihm gesprochen oder ihn nur gesehen habe etc.), war es gar nicht einmal uninteressant, vor allem, weil man ja nebenbei noch die Angeklagten (einer von ihnen hätte dem Ankläger fast den Vogel gezeigt), die Richter vor ihren Doppelbildschirmen und die Gerichtsdiener beobachten konnte. Als die Verhandlung in die Pause ging, fragten wir nach dem zweiten Gerichtssaal, wurden in den vierten Stock geschickt und hatten Pech, weil kurz nach unserer Ankunft die dort verhandelnde Kammer ebenfalls Pause machte.

Wir gingen in die Lobby, begegneten dem deutschen IStGH-Richter (auch ein Richter an einem Internationalen Gerichtshof könnte sich ruhig bedanken, wenn man ihm die Tür aufhält!) und stöberten ein wenig in den Informationsmaterialien. Wir hüpften noch einmal in die erste Verhandlung und bei deren Unterbrechung gingen wir auch etwas essen. Der Internationale Strafgerichtshof liegt in einem Industriegebiet, sodass wir einige Zeit laufen mussten, ehe uns ein McDonald's rettete. Nach dem Verspeisen eines Burgers ging es zurück zum Gericht und wieder in die Verhandlungen. Als gegen 13.30 Uhr beide Verhandlungen vorerst endeten, begaben wir uns in die Lobby, da um 14.30 Uhr das erste Erscheinen von drei Kenianern vor dem IStGH angesetzt war. Ich hatte ein paar Tage vorher in einer E-Mail um Kartenreservierung gebeten und nach einigem Gewurschtel stellte sich heraus, dass wir keine Karten gekriegt hatten. Wir wurden aber gebeten, auf Rückläufer zu warten und hatten auch Glück: Am Ende waren noch sicher ein gutes Dutzend Plätze unbesetzt. Leider saßen wir nur im Oberrang und konnten nur die Richter direkt sehen, während wir für einen Blick auf die Anklage oder die Angeklagter auf die Videobildschirme zurückgreifen mussten. Das Prozedere war recht gut verständlich, sodass wir in den eineinhalb Stunden der Verhandlung wirklich viel mitnehmen konnten. Nach dem Ende dieser Verhandlung ging es letztmals in den anderen Gerichtssaal, um noch das Ende der Verhandlung im Lubanga-Fall zu erleben. Gegen 16 Uhr verließen wir den Internationalen Strafgerichtshof, liefen zum Auto zurück (dreiviertel Stunde Weg) und fuhren in Richtung Rotterdam, um nach Nimwegen zurückzukommen.

Nach kurzem Weg überkam uns jedoch die Schnapsidee, noch zum Fußball nach Alkmaar zu fahren. Unser Schulfreund, der arbeiten musste, konnte schlussendlich leider nicht mitkommen, sodass wir nur zu zweit viel zu früh in Alkmaar ankamen und uns Karten kaufen wollten. Der Kartenkauf für Fußballspiele in den Niederlande ist bürokratisch bis zum Gehtnichtmehr: Man muss eine Klubkarte beantragen (zwei Wochen vorher und mit Ausweiskopie), um dann die eigentliche Eintrittskarte kaufen zu können. Sprich, wir konnten keine Karten kaufen. Das begründete man mit Sicherheitsvorkehrungen. Nunja. Auf mehrmaliges Nachfragen schließlich fand sich doch noch die Möglichkeit, dass wir mit der Klubkarte eines der Kartenverkäufer eine Karte kaufen konnten (allerdings mussten sie unsere Ausweise kopieren!). Immerhin kamen wir so an unsere Karten. Um der Absurdität die Krone aufzusetzen, wird man aber am Zugang zum Stadion dann nicht mehr nach verbotenen Gegenständen durchsucht. Die spinnen, die Holländer!

Die Stimmung im mit 16.500 Zuschauern fast ausverkauften Stadion war recht gut, auch wenn die gelegentliche Mischung aus Metal und Karnevalsmusik ein wenig gewöhnungsbedürftig ist. Das Spiel war von mittelprächtigen Niveau und ging nach zwei verwandelten Elfmetern 1:1 aus. Auffällig war, dass die Spieler in der Eredivisie Freistöße in aller Regel sehr schnell ausführen; ansonsten wird im Wesentlichen so gespielt wie in Deutschland. Gegen 0.30 Uhr kamen wir wieder nach Nimwegen, wo uns unser Schulfreund mit einem Mitbewohner erwartete. Es wurde vier Uhr und der mitgebrachte Kasten Bier zu mehr als der Hälfte geleert.

Am nächsten Morgen, ähm, naja, eher Mittag, standen wir gegen 13 Uhr auf und verließen kurz darauf das Haus, um einen kurzen Stadtbummel durch Nimwegen zu machen. Nimwegen wurde im Zweiten Weltkrieg ziemlich zerbombt, sodass die heutige Innenstadt nur recht wenige sehr alte Gebäude beherbergt. Das Wetter war herrlich und die Stadt in ihrer Modernität auch ganz ansehnlich. Gegen 16 Uhr betraten wir eine Kneipe, um den plötzlichen Tod zu genießen: "Mort Subite", so heißt das belgische Lambic-Bier, das wir schon am ersten Abend ausgiebig getrunken hatten. Der Brauprozess ist, wenn ich meinen Schulfreund richtig verstanden habe, eine Mischung aus dem Pils- und dem Weizenbrauprozess, und das daraus resultierende Bier hat eine sehr fruchtige Note, die in Richtung Mango geht. Wirklich sehr lecker. Dementsprechend verließen wir rund sechs Stunden und insgesamt 30 Bier später die Kneipe und fanden Unterschlupf in einer flämischen Gaststätte, die uns trotz eigentlich schon geschlossener Küche noch drei leckere Steaks zauberte. Auch dieser Abend war wieder gelungen, wenn auch alkoholreich und lang ...

Am nächsten Tag fiel das Aufstehen trotzdem etwas leichter, und kurz vor zehn Uhr kamen wir los. Wir holten noch eine Bekannte unterwegs in der Nähe des Ruhrgebiets ab und waren gegen 16.30 Uhr wieder in Jena.

Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich in den Niederlanden übernachtet, zum ersten Mal habe ich einen Internationalen Strafgerichtshof live erlebt; beide Erfahrungen würde ich gerne irgendwann demnächst mal wiederholen ...